„Sekundärer Antisemitismus“? (11.7.2016)

Der Politikwissenschaftler Werner Patzelt (CDU) hat für AfD-Mitglieder ein „Antisemitismus“-Gutachten in der Causa Gedeon erstellt: http://wjpatzelt.de/?p=895 Ich kommentiere das Gutachten in einem offenen Brief:

„Sehr geehrter Herr Patzelt,
ich erlaube mir einige Anmerkungen zu Ihrem Gutachten:

Gedeon verlangt zurecht, dass eine “grundsätzliche Unterscheidung zwischen »Antisemitismus« und »Antizionismus« gemacht wird und diese Eingang in die politische Diskussion der westlichen Gesellschaften findet. Dabei geht es im einen Fall (Antisemitismus) um „pauschalen Hass gegen alles Jüdische, den jeder vernünftige und anständige Mensch ablehnt“ (sic!), im anderen Fall (Antizionismus) um „Kritik am Staat Israel sowie an zionistischen Cliquen, die gerade in den USA sehr stark sind.” Hier schließe ich mich an. Bin ich jetzt in Ihren Augen etwa „Antisemit“?  

  1. Sie behaupten, Gedeon würde “bestreiten”, “dass tatsächlich die Geschichte Europas ganz markant auch eine Geschichte der Verfolgung von Menschen jüdischer Abkunft oder jüdischen Glaubens war.” Das tut Gedeon aber nicht. Sie ergänzen: “Das aber zu bestreiten, führt unmittelbar zum sekundären Antisemitismus.”

„Sekundärer Antisemitismus“? Gedeon will einen Schlußstrich unter den ´Schuldkult´ der Deutschen ziehen; wenn dies bereits als “Antisemitismus” gilt, erhält der Begriff etwas Inflationäres. Gedeon hat auch in diesem Punkt recht.

Gedeon schreibt: “Wer zum Beispiel die offizielle Gedenkpraxis für einseitig hält, weil sie immer nur des Holocausts und der jüdischen, nicht aber der zahllosen anderen Opfer von Krieg und Terror gedenkt, gilt inzwischen schon als »antisemitisch«. Wer – nach 70 Jahren! – gar einen historischen »Schluss-Strich« unter die anhaltende Diskussion um deutsche Schuld und Wiedergutmachung fordert, macht sich eines »Schluss-Strich-Antisemitismus’« schuldig usw. So hält die sog. Antisemitismus-»Forschung« ein breites Reservoir an Argumentationskeulen bereit, um Kritiker in Schach zu halten. Diese Art Forschung hat wenig mit Wissenschaft zu tun, aber viel mit Ideologie und psychologischer Kriegsführung.”

Mag sein, dass der letzte Satz ´übers Ziel hinausschießt´; im Kern hat Gedeon aber mit diesem Absatz recht. Was Sie ihm hier als “Ressentiment” unterstellen, betrifft Antisemitismusforscher, nicht jedoch Juden; ein erheblicher Unterschied.

  1. Sie zitieren Gedeon mit den Worten: “[2] Es gebe kein objektives Korrelat für Antisemitismus, heißt es. Vielmehr handle es sich um ein rein psychologisch fassbares Ressentiment. Immer wenn es eines Sündenbocks bedurfte, hätten die Juden herhalten müssen.” Sie beurteilen diese Fundstelle dahingehend, Gedeon “insinuiere”, “niemals hätten Juden „als Sündenböcke herhalten müssen“. Das aber kann man aus der Fundstelle nicht herauslesen.
    Ω
  2. Fairerweise stellen Sie klar in Ihrer “Gesamtwürdigung”:
    “Es ist richtig, dass Wolfgang Gedeon im untersuchten Buch nirgendwo gegen Juden hetzt und auch an keiner Stelle jenen biologisch-rassistischen Antisemitismus vertritt, der – aufgrund zumal des Holocaust und seiner inhaltlichen Begründung – bei der Rede vom Antisemitismus zuallererst in den Sinn kommt. Gedeon nennt den Holocaust auch klar ein Massenverbrechen, was offensichtlich voraussetzt, dass er die Tatsächlichkeit des Holocaust nicht bestreitet.” Jedoch beanstanden Sie im gleichen Atemzug: “Er macht aber ein Problem daraus, dass die Bestreitung dessen, was unzweifelhaft der Fall war, auch strafbewehrt sein soll. Eine solche Haltung indessen kommt allein jenen zupass, die – aus welchen Gründen auch immer – die Tatsächlichkeit des Holocaust gerade in Zweifel ziehen wollen.”  Und das wollen Sie „Antisemitismus“ nennen? Damit bestätigen Sie Gedeons Auffassung über Antisemitismusforschung.
    Ω
  3. Sie schreiben: “Antijudaismus lässt sich nicht vom Antisemitismus trennen.” Da widerspreche ich: Antijudaismus ist kritisch-ablehnende Haltung zu einer Religion – bei Gedeon sogar eingeschränkt auf den (nachchristlichen) Talmud, der als dezidiert anti-christlich interpretiert wird. Eine kritisch-ablehnende Haltung zu ihrer Religion müssen sich Juden im Zeitalter der Aufklärung ebenso wie Christen oder Muslime gefallen lassen, jedenfalls so lange keine Verunglimpfung, Beleidigung oder Holocaustleugnung vorliegt; ich hoffe, dass insoweit kein Dissens zwischen uns besteht.

6. Die Formulierung “Es sind die Juden selbst daran schuld, wenn sie nicht gemocht und verfolgt werden”, stammt von Ihnen; bei Gedeon findet man sie nicht.

Mit freundlichen Grüßen
Alexander Heumann

PS.: Den Briefwechsel zwischen Marc JONGEN und Götz KUBITSCHEK zum Fall Gedeon kommentiere ich hier: http://www.heumanns-brille.de/der-fall-gedeon-und-die-afd-kommentar-zu-einer-debatte/

 

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2 Gedanken zu „„Sekundärer Antisemitismus“? (11.7.2016)“

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