Die erste EU-«Zukunftskonferenz» fand am 9. Mai 2022, dem Gedenktag zum Weltkriegsende, statt. Eine „Generalüberholung“ der Europäischen Union steht an.[1] Man sondiert Möglichkeiten, die EU „demokratischer, bürgernäher und effizienter“ zu machen. Es darf gelacht werden.
Die spektakulärste Forderung lautet: In der Außen- und Fiskalpolitik der Europäischen Union soll das Einstimmigkeitsprinzip abgeschafft werden. Also wenn es z.B. darum geht, Wirtschaftssanktionen gegen Drittstaaten (sprich: Russland) zu verhängen. Oder gemeinsame Schulden aufzunehmen (was die EU-Verträge bislang verbieten). Dissentierende Mitgliedstaaten (etwa Ungarn) könnten dann einfach überstimmt werden. Kein Veto mehr!
Erneut tritt hier das orwell´sche „Demokratie“-Verständnis der EU zutage: Wegfall des Einstimmigkeits-Prinzips bedeutet weniger Mitentscheidungs-Kompetenz nationaler Parlamente. In Wahrheit will die EU also nicht mehr, sondern weniger Demokratie wagen.
Ohnehin sind nach einem Diktum des Staatsrechtlers Peter Grimm „die Mitgliedstaaten […] zwar noch die ,Herren der Verträge‘, aber nicht mehr die Herren des auf ihrem Territorium anwendbaren Rechts.“[2] Es bestehen Bedenken, ob der durchschnittliche deutsche (oder französische) Wähler hier noch folgen kann. Verständnistrick „für die Faust“: Meist stimmt das exakte Gegenteil von dem, was EU-Funktionäre verlautbaren lassen. „Think mirror“.
Neuer Anlauf zur „Europäischen Verfassung“
Für Reformen wie solche Anti-Veto-Träume müßten die EU-Verträge geändert werden. Volksfeindlich gesonnene Konferenzteilnehmer schlugen daher einen „Europäischen Verfassungskonvent“ vor. Gottlob stellen sich mindestens zehn Mitgliedstaaten quer.[3]
Was natürlich nie ausschließt, daß die Zentralisten auf kurz oder lang doch noch siegen: Mit Speck – spricht: Euros – fängt man Mäuse! Man kann nur hoffen, daß v.a. Ungarns Viktor Orban stark bleibt!
Das Projekt einer „Europäischen Verfassung“ ist bekanntlich schon einmal gescheitert. Das war in den Jahren 2003 ff. Die Deutschen wurden gar nicht erst befragt, aber Volksreferenden in Frankreich und den Niederlanden sprachen sich gegen eine „EU-Verfassung“ aus. Daher konnte der hinter den Kulissen ausgehandelte völkerrechtliche Vertrag nicht ratifiziert werden. Das hat die globalistische politische Klasse den „populistischen“ Parteien genauso wenig verziehen wie den BREXIT.
Jedoch hofft man jetzt, daß die allgemeine Russophobie (wird Putin auch NATO-Staaten angreifen, gar bis Berlin „durchrutschen“?) mehr EU-Gleichschritt in der Außenpolitik ermöglicht. So könnte man auch gegen die Voten (aber mit dem Steuergeld) europäischer Nationen vereint in den Kreuzzug gegen die „Feinde der Menschheit“ ziehen. Wie sagte jüngst der Kabarettist Uwe Steimle: „Es gab Zeiten, da wurde man wenigstens noch gefragt, ob man den totalen Krieg überhaupt will.“
Plan B der Europäischen Union
Man hat auch noch einen Plan B im Ärmel: Eine «Europagemeinschaft», die auch Drittländern offensteht. In eine solche „Föderation“ könnten auch die Ukraine, Georgien, Moldawien und die Länder des Westbalkans eintreten.[4]
Georgien? Da war doch was, im eurasischen Kaukasus … Im August 2008 eskalierte der Konflikt Georgiens mit dem separatistisch gesonnenen Südossetien, das zurück nach Russland wollte, in einem Fünf-Tages-Krieg – nicht zufällig nachdem auf dem Bukarester NATO-Gipfel im April 2008 Georgien – wie auch der Ukraine – die Möglichkeit eines NATO-Beitritts bestätigt worden war.[5]
Das war natürlich Wind in den Segeln von George Soros´ „Farb-Revolutionären“!
Parallelen Ukraine – Georgien
Parallelen sind also unübersehbar: Jeweils handelt es sich um einen Sezessions-Konflikt mit der Zentralmacht. Auf der einen Seite stehen Kiew bzw. Tiflis, auf der anderen Donbass bzw. Südossetien. Und jeweils steht ein Stellvertreterkrieg zwischen USA und Russland im Raum. Soll der nächste in Georgien stattfinden?
Lernt „der Westen“ denn nie?
Wer nicht hören will, muss fühlen, sagt der Volksmund. Reicht es denn nicht, dass schon das in weltanschaulich gespaltene ukrainische Volk als Kanonenfutter verheizt wird?
Binnenkonflikte zwischen Ethnien dürfen nicht durch gewaltsamen „Regimechange“ (wie 2014 auf dem Kiewer Maidanplatz), sondern müssen nach geltendem Völkerrecht durch demokratische Wahlen ausgetragen werden. Es sei daran erinnert, daß der 2014 beim Staatsstreich gestürzte ukrainische Präsident Janukowytsch im Jahr 2010 demokratisch gewählt worden war – was ein Votum „für Russland“, jedenfalls gegen eine rückhaltlose Westorientierung bedeutete (Karl Albrecht Schachtschneider).[6] Der frühere ukrainischen Premierminister Asarow sagte 2016: „Ohne Hilfe der USA hätte es keinen Staatsstreich gegeben“.[7] Was auf dem Maidan stattfand, war keine „demokratische Revolution“.
Pointe: Die Scharfschützen, die auf dem Maidanplatz sowohl Demonstraten als auch Ukrainische Sicherheitskräfte niedermähten, sollen aus Georgien (Tiflis) stammen.
[1] NZZ.ch, 10.3.2021, https://www.nzz.ch/meinung/die-zukunftskonferenz-der-eu-mit-vielen-praesidenten-ld.1604999
[2] Zit. nach Egon Flaig,
https://www.tichyseinblick.de/feuilleton/buecher/die-sechs-gestuerzten-saeulen-des-konservatismus/
[3] NZZ.ch, 10.05.2022,
https://www.nzz.ch/international/konferenz-zur-zukunft-europas-teures-selbstgespraech-fuer-die-eu-ld.1683118
[4] NZZ.ch, 10.05.2022, a.a.O.
[5] Die USA sehen Georgien als wichtigen Brückenkopf nach Zentralasien. Man ließ dem Land – wie auch der Ukraine seit 2014 – moderne Militärausrüstung zukommen und investierte in die Ausbildung georgischer Soldaten. Auf dem NATO-Gipfel 2008 in Bukarest wurde Georgien – wie auch der Ukraine – die grundsätzliche Möglichkeit eines NATO-Beitritts bestätigt. Der Konflikt Georgiens mit dem separatistischen Südossetien verhinderte dies bislang.
Die EU unterzeichnete schon 2006 ein Nachbarschaftsabkommen mit Georgien (wie mit Armenien und Aserbaidschan). Ihr Zugang zum EU-Binnenmarkt soll erleichtert werden.
Russland sieht im US-Engagement in Georgien „den Versuch, eine unipolare Welt unter der Führung der USA aufzubauen.“ (Wikipedia)
[6] K. A. Schachtschneider, Erinnerung ans Recht (Kopp 2014), S. 310.
[7] URL: https://www.heise.de/tp/features/Ohne-Hilfe-der-USA-haette-es-keinen-Staatsstreich-gegeben-3492309.html?fbclid=IwAR2ORMcY1kYrVTG4IoB3QKGlbbYF5swSrjUfvTq6Qt4WTQ2CLOAZHIZfXB0