Gastbeitrag von RA Dr. Björn Clemens, Düsseldorf
Bernd Lucke hat einen einzig und allein auf Fragen der wirtschaftlichen Stabilität verengten Blickwinkel. Seine Philosophie ist die des Marktes, nicht die des Volkes oder der Kultur. Fragen nationaler Identität oder Souveränität erfasst er nicht in ihrer Bedeutung. Das Selbstbestimmungsrecht von Staaten gehört nicht zu seinem Gedankengut.
Am Dienstag, dem 5.5.2015 führte die AfD des Kreisverbandes Neuss, einer Nachbarstadt von Düsseldorf, eine Vortragsveranstaltung mit deren Bundesvorsitzenden Bernd Lucke durch.
Etwa 200 bis 250 Anhänger oder Interessierte waren der Einladung ins Landestheater Neuss gefolgt, der Jugendanteil entsprach dem bei Gottesdiensten der evangelischen Kirche. Geschätzte 90% der Zuhörer entstammten der Altersklasse zwischen 40 und 70.
Vor dem Eingang wurden Handzettel verteilt, auf denen das Ensemble, also die Angestellten des Theaters, für Weltoffenheit Vielfalt, Tolerie fallera warb. Arbeitsrechtlich dürfte das unzulässig sein. Ob sie eine Abmahnung bekommen, ist dennoch zu bezweifeln.
Lucke kam etwas verspätet, was allerdings nicht aus Taktik geschah (wer die Menge warten lässt, wird wichtiger), sondern an den verstopften Straßen lag. Der Vorsitzende der jungen Partei wirkte sympathisch und kompetent. Sein Vortrag entsprach jedoch eher einer Universitätsvorlesung über die Geschäftsordnung des europäischen Parlaments sowie finanzwissenschaftliche Mechanismen als einer politischen Rede. Deshalb kam schnell Langeweile auf, zumal der Mann kein mitreißender Redner ist und wenig Charisma besitzt.
Inhaltlich enthielt der Vortrag aber einige interessante Informationen, etwa über die Bedeutungslosigkeit eines EU-Abgeordneten, der kein eigenes Antragsrecht hat. Gehört er einer Fraktion an, so hat diese zwar Antragsrecht, aber nicht das Recht, dass ihre Anträge auf die Tagesordnung des Parlaments gesetzt werden. Das lässt sich nach den Worten Luckes nur durch Kungelei mit anderen Fraktionen erreichen, wenn sie hin und wieder die Unterstützung der Außenseiter brauchen. Kommt es dann tatsächlich dazu, dass ein Abgeordneter sprechen darf, so ist seine Redezeit auf eine Minute begrenzt, wobei die Rede aber auch so gut wie nur von denjenigen Abgeordneten angehört wird, die selbst darauf warten, an die Reihe zu kommen. Die von Lucke leider nicht beim Namen genannte Wirklichkeit des EU-Parlaments ist also die einer scheindemokratischen Fassade.
Davon abgesehen, befasste sich der AfD-Vorsitzende ausschließlich mit der Finanzpolitik, insbesondere dem unseligen Wirken der EZB, die nach Auffassung Luckes, die er auf eine Nachfrage aus dem Publikum äußerte, genau wie der Euro abgeschafft werden müsse.
Sein besonderes Augenmerk galt der Niedrigzinspolitik, die zwei signifikante Folgen hervorgebracht hat: Zum einen ist der Wert verzinslicher Geldanlagen rapide gesunken. Das betrifft auch kapitalgedeckte private Rentenversicherungen, wie z.B. die Riesterrente oder auch berufsständische Versorgungswerke. Lucke nannte Berechnungen, nach denen in den letzten fünf Jahren der Wert solcher Anlegen um die Hälfte (!) gefallen sei. Das heißt, dass die gleiche Einzahlung eines Betrages heute zu ungefähr der halbierten Anwartschaft führt, wie noch vor fünf Jahren! (Oder der Einzahler muss für die gleiche Anwartschaft den doppelten Betrag einzahlen) Das bedeutet einen massiven und direkten Zugriff der EZB auf die Vermögenswerte der derzeitigen Arbeitnehmer und späteren Rentner. Da in Deutschland die Sparquote am höchsten ist, trifft die Niedrigzinspolitik, wie so oft bei Maßnahmen der EU, die Deutschen am härtesten.
Zum anderen ist der Wert nicht zinsgebundener Anlagen, wie etwa Aktien massiv gestiegen. Bei dem jetzt erreichten Niveau (vgl. DAX) lohnt es sich aber nicht mehr von verzinslichen Papieren auf andere Anlagen umzusteigen, da der Anleger zu zu hohen Preisen kaufen müsste.
An dieser Stelle hätte sich aufgedrängt, die Vorgänge und Herrschaftsmethoden der EU grundsätzlich zu hinterfragen. Dann wäre nämlich zu ergänzen gewesen, dass auch die Eigentümer von Immobilien (also nicht diejenigen, die sich jetzt dafür interessieren, sondern diejenigen, die bereits Eigentum haben) zu den Gewinnlern der EU-Politik zählen. Wenn man dann noch in den Blick nimmt, dass vor einigen Jahren in Deutschland ein regelrechter Privatisierungswahn herrschte, gerade was den Sektor kommunaler Immobilien – Gesellschaften betraf, bei dem Wohnungen und Mietshäuser hunderttausendfach von internationalen Fonds und Konzernen und dergleichen aufgekauft wurden, wäre dargelegt gewesen, wer der eigentliche Nutznießer der EU Strukturen ist: das internationale Konzern- und Finanzkapital, das die Aktienmärkte kontrolliert und, wie gesagt, nun Großeigentümer von Wohnraum ist. Der Kreis schließt sich beim Blick auf die explodierenden Mieten.
Die EU hat also ein ausgeklügeltes, über Jahre sich verzahnendes System entwickelt, dass Vermögenswerte vom schaffenden deutschen Bürger in die Hände anonymer Finanzmagnaten transferiert. Dabei stößt man auch automatisch auf die zweifelhafte Person des Mario Draghi, der ursprünglich für die internationale Großbank Goldmann Sachs gearbeitet hat, die zu den Hauptdrahtziehern des Weltfinanzsystems gehört. Jetzt ist er EZB-Chef…
Die hinterhältige Rafinesse der Niedrigzinspolitik besteht darin, dass der Angriff unmittelbar aber mit wenig Getöse auf die Geldbörse der Menschen erfolgt und nicht mehr über den Umweg der Staaten, wie das beispielsweise der Fall ist, wenn Deutschland wieder einmal mit der Schuldkeule zu diversen Zahlungen gepresst wird, wie es derzeit Griechenland versucht.
Lucke hat also mit wenigen Worten eine hochexplosive Materie angesprochen, allerdings ohne die Brisanz des Themas anzudeuten. Dabei fordert sie eine fundamentale Systemalternative geradezu heraus. Und genau damit zeigte er leider, dass seine AfD keine Alternative ist, denn die von ihm wenigstens angedeuteten Mechanismen müssten zwingend dazu führen, das ganze EU – System als solches in Frage zu stellen, am besten mit der Antwort eines deutschen Austrittes.
Doch diese, aus dem Publikum explizit gestellte, Frage verneinte er unter Hinweis auf die angeblichen Errungenschaften der EU in den letzten Jahrzehnten. Damit meinte er den wirtschaftlichen Wohlstand und die Waren- und Dienstleistungsfreiheiten. Aber genau diese ökonomischen Freiheiten degradieren den Menschen zur Funktion des Kapitals. Ebenso schien Lucke die Frage eines anderen Diskutanten nach dem Verhältnis von EU und nationaler Souveränität in ihrem Kern gar nicht zu erfassen.
Auch der Aspekt der Überfremdung spielte für ihn keine Rolle. Aus dem Zuschauerraum gestellte Fragen zum Thema Flüchtlingssituation beantwortete er mit einigen Vorschlägen zur besseren Kontrolle der Flüchtlingsströme unter Wahrung humanitärer Grundsätze. Als weltfremden Vorschlag der AfD präsentierte Lucke dazu, eine europaweite Regelung herbeizuführen, nach der Asylbewerber ihren Antrag bei dazu einzurichtenden Behörden im Ursprungsland zu stellen haben. Realistisch dürfte indes eher davon auszugehen sein, dass Flüchtlinge eine deutsche Botschaft besetzen, um ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland zu erpressen, als dass sie sich geduldig dort hinsetzen und Formulare ausfüllen.
Bei einem weiteren Statement bewies Lucke eine erstaunliche Naivität, als er seine Entfremdung von der CDU, der er mehr als 30 Jahre angehört hatte, damit begründete, dass die Abgeordneten dieser Partei dem Vertrag von Lissabon zugestimmt hätten, obwohl die CDU doch im Wahlkampf gegenteilige Aussagen getätigt hätte. Lucke scheint also sowohl an Wahlversprechungen als auch an die Kompetenz oder gar Rechtschaffenheit von Abgeordneten einer Altpartei zu glauben… (oder geglaubt zu haben).
Fazit:
Bernd Lucke hat einen einzig und allein auf Fragen der wirtschaftlichen Stabilität verengten Blickwinkel. Seine Philosophie ist die des Marktes, nicht die des Volkes oder der Kultur. Fragen nationaler Identität oder Souveränität erfasst er nicht in ihrer Bedeutung. Das Selbstbestimmungsrecht von Staaten gehört nicht zu seinem Gedankengut. Dabei weiß er sich mit dem Großteil der Zuhörer/Anhänger einig. Bis ins Detail gehende Fragen nach der Sicherheit und Zusammenstellung (!) von Vermögensanlagen zeigen, dass das AfD – Klientel überwiegend aus Personen besteht, die die Angst um ihre Kapitalrendite umtreibt, nicht die Angst vor Fremdbestimmung oder Überfremdung. Das Wort „Islamisierung“ fiel an dem Abend kein einziges Mal, weder vom Podium noch vom Auditorium aus. Sicherlich sind die Anliegen dieser Leute berechtigt und ernst zu nehmen. Aber eine nationale Erneuerung ist mit ihnen nicht zu machen.
Björn Clemens, 6.5.2015 www.bjoern-clemens.de