Presse- und Meinungsfreiheit im Lichte von Artikel 146 GG – Achillesferse des „Verfassungsschutzes“

Veröffentlicht bei der Staats- und wirtschaftspolitischen Gesellschaft e.V. unter https://www.swg-mobil.de/2024/08/07/presse-und-meinungsfreiheit-im-lichte-von-artikel-146-gg-achillesferse-des-verfassungsschutzes/

Teil 1: „Wollt ihr die totale Demokratie?“

Zur Zeit ist viel von wehrhafter Demokratie die Rede – „auch unterhalb der Strafbarkeitsschwelle.“ Presse- und Meinungsfreiheit sollen zwar „für freiheitliche Demokratien schlechthin konstituierend“[1] sein, jedoch „kein Freibrief für Verfassungsfeinde.“[2] Offenbar gibt es eine Grauzone des Grundgesetzes, in der man friedlich und legal im Rahmen aller zivil- und strafrechtlichen Gesetze publiziert und die Grenzen der Meinungsfreiheit beachtet, aber trotzdem vom Inlandsgeheimdienst als „extremistischer“ Verfassungsfeind verdächtigt, überwacht, angeprangert – und schließlich vom Innenministerium zerschlagen werden kann – weil man sich gegen die „verfassungsmäßige Ordnung richtet“ (Artikel 9 GG).[3]

Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang erläutert anhand radikaler „Klimaschützer“ der „Letzten Generation“: Nicht etwa Vereinigungen, die Straftaten zum Zweck der Durchsetzung politischer Forderungen begehen – etwa Nötigungen (u.a. Flughafenblockaden[4]) oder Gewalt (und sei es „nur gegen Sachen“) – , seien Verfassungsfeinde. Nein, „das Begehen von Straftaten macht diese Gruppierung nicht extremistisch.“ „Extremistisch“ seien vielmehr die, die „den Staat, die Gesellschaft, die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Frage stellen“.[5] [6] Nicht Taten, sondern kritische Gedanken („Infragestellen“) – genauer: eine „kämpferisch-aggressive“ „Haltung“ gegenüber der FGDO – markieren die rote Linie.

Andererseits wurden bei der Vorstellung des VS-Berichts 2023 Forderungen nach einem islamischen Scharia-„Kalifat“ von Haldenwang als „denkbare Staatsform“ („wie Kommunismus, Sozialismus oder Monarchie“) kommentiert; das sei weder strafbar, noch müßte es per se Verbote nach sich ziehen.[7]

Alle stehen vor einem nahezu undurchdringlichen Begriffs-Dschungel. Was darf man (noch) sagen, schreiben und tun? Und was hat das alles mit Artikel 146 des Grundgesetzes zu tun?  Presse- und Meinungsfreiheit im Lichte von Artikel 146 GG – Achillesferse des „Verfassungsschutzes“ weiterlesen

Adorno-Revival: Nicht der Islam, sondern das Christentum gerät auf die Anklagebank

Anläßlich des Terrorangriffs der Hamas auf Israel und der antisemitischen Demonstrationen von Muslimen fand ein Solidaritätskonzert beim Berliner Ensemble statt („Gegen das Schweigen. Gegen Antisemitismus“). Auf Initiative des Pianisten Igor Levit gaben sich dort zahlreiche Künstler und Prominente ein Stell-dich-ein. U. a. sieht man Wolf Biermann, Die Toten Hosen, Michel Friedman, Dunja Hayali, Fernsehkoch Tim Mälzer, „Klima“-Ikone Luisa Neubauer und Paul Zichner mit Tanzorchester. Gemeinsam will man mit Musik und Literatur „ein Zeichen gegen Antisemitismus setzen.“ Nur bleibt – politisch korrekt – nicht nur Ross und Reiter mal wieder ungenannt; sie werden sogar ausgetauscht: Nicht der Islam, sondern das Christentum gerät auf die Anklagebank.

Erst gegen Ende der Veranstaltung kommt es zum Schwur: Die Schauspielerin und Regisseurin Maria Schrader  liest einen Text des Philosophen Theodor Adorno, des Säulenheiligen der Frankfurter Schule der „Kritischen Theorie“[1]: Und zwar den Essay „Musterung“ aus einem der Hauptwerke Adornos, der Minima Moralia (Suhrkamp 1951).

Adorno prangert hier – wie schon in seiner „Dialektik der Aufklärung“ – eine nur noch „instrumentelle“ (z.B. auch kommerzielle) Vernunft an – die er überall am Werke sieht: Naturgemäß würden Agenten „praktischer“ Interessen alle Menschen einer „Musterung“ mit nur einem einzigen Wertkriterium unterziehen: Ob er „geeignet oder ungeeignet“ sei, brauchbar für persönliche Karrieren oder die politischen Ziele der jeweils aktuellen, totalen Massen-„Bewegung“. Nur hiernach entscheide sich, ob das jeweilige Gegenüber Freund, Feind, Spreu oder Weizen sei. Alles sehr interessant … Nur: Worauf will die Adorno-Rezitatorin – im Hinblick auf den fürchterlichen Anlaß der Veranstaltung – hinaus´?

Von Kant über Adorno zum Bundesverfassungsgericht

Gestatten Sie mir an dieser Stelle eine Zwischenbemerkung. Großvater dieses Gedankens Adornos ist wohl Immanuel Kant, dessen Menschenwürde-Begriff wiederum Grundlage der „Objekt-Formel“ des Bundesverfassungsgerichts wurde: Menschenwürde sei zwar schwer positiv bestimmbar, aber negativ durchaus auf den Begriff zu bringen: sie sei jedenfalls verletzt, „wenn der konkrete Mensch zum Objekt, zum bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe, herabgewürdigt wird“. So interpretierte der berühmte Verfassungsjurist Günter Dürig das Grundgesetz zu einer Zeit, als noch niemand vom „Transhumanismus“, „Klonen“ oder „Leihmüttern“ sprach und die individuelle menschliche Seele noch nicht allein auf („nichts als“) Physik, Gehirnchemie oder kopierbare digitale Daten reduziert wurde. Dürigs Definition war auch eine frühe christlich-fundierte Absage an einen globalen orwell´schen Ameisenstaat – mag er noch so „effizient“ sein. Adorno-Revival: Nicht der Islam, sondern das Christentum gerät auf die Anklagebank weiterlesen

Die Ukraine und das Völkerrecht, – Geographie und Geschichte als Schicksal: „What matters are people, not states“.

– Von Rechtsanwalt Alexander Heumann –

Richter C. Trindade beim Internationalen Gerichtshof (IGH) in seinem Sondervotum zur Sezession des Kosovo von Serbien: „What matters are people, not states.“[58] Soll heißen: Staaten haben keinen Selbstzweck. Sie sind um der Menschen bzw. der Völker willen da – nicht umgekehrt.


Nach Deutschlands Wiedervereinigung boten der ´Fall des eisernen Vorhangs´, die Auflösung des Warschauer Paktes und der Wegfall der sowjetkommunistischen Bedrohung unverhoffte Chancen auf Frieden und Wohlstand in Europa – ohne atomares Damoklesschwert. „Deutschland, wir reichen dir die Hand, wir geh´n zurück ins Vaterland“, sang der Chor der Rotarmisten.[1] Das Feindbild des Kalten Krieges schien zu verschwinden.[2] Aber während man in Kerneuropa das hoffnungsfrohe Lied vom „Wind of Change“ sang, blieben gegenläufige Sicherheitsinteressen zwischen Mittel-/Osteuropa und Russland als Sollbruchstelle des Kontinents bestehen. Eine Annäherung an ein Dilemma. Die Ukraine und das Völkerrecht, – Geographie und Geschichte als Schicksal: „What matters are people, not states“. weiterlesen

Postmoderne, Metaethik und Glaubensabfall – zu Peter Sloterdijks These vom Christentum als „gescheitertem Projekt“

Christentum – ein „gescheitertes Projekt“?!
Essay, erschienen in: CRISIS-Journal,
Ausgabe 2/2022 (S. 28 – 33)

  :

I. Von neuzeitlicher Säkularisierung zum totalen Laizismus

Zentrales Axiom der Moderne ist die Trennung von Staat und Religion bzw. Politik und Religion[1]. Diese führt auch zur „Entkoppelung“ von Recht von Moral und von Religion.[2] Hiermit korrespondiert die juristische Doktrin einer weltanschaulichen und „ethischen Neutralität des Staates“,[3] die jede „Leitkultur“, vor allem die christliche, ablehnt, um niemanden zu „diskriminieren“ (hierzu Teil II). Und einer der „führenden“ Philosophen Europas, Peter Sloterdijk, erklärt sogar das ganze „christliche Projekt“ aus anthropologischer Sicht für „gescheitert“.[4]

Postmoderne, Metaethik und Glaubensabfall – zu Peter Sloterdijks These vom Christentum als „gescheitertem Projekt“ weiterlesen

EU-„Zukunftskonferenz“: Weniger Demokratie wagen! Dafür mehr Krieg.

Die erste EU-«Zukunftskonferenz» fand am 9. Mai 2022, dem Gedenktag zum Weltkriegsende, statt. Eine „Generalüberholung“ der Europäischen Union steht an.[1] Man sondiert Möglichkeiten, die EU „demokratischer, bürgernäher und effizienter“ zu machen. Es darf gelacht werden. 

Die spektakulärste Forderung lautet: In der Außen- und Fiskalpolitik der Europäischen Union soll das Einstimmigkeitsprinzip abgeschafft werden. Also wenn es z.B. darum geht, Wirtschaftssanktionen  gegen Drittstaaten (sprich: Russland) zu verhängen. Oder gemeinsame Schulden aufzunehmen (was die EU-Verträge bislang verbieten). Dissentierende Mitgliedstaaten (etwa Ungarn) könnten dann einfach überstimmt werden. Kein Veto mehr!

Erneut tritt hier das orwell´sche „Demokratie“-Verständnis der EU zutage: Wegfall des Einstimmigkeits-Prinzips bedeutet weniger Mitentscheidungs-Kompetenz nationaler Parlamente. In Wahrheit will die EU also nicht mehr, sondern weniger Demokratie wagen. EU-„Zukunftskonferenz“: Weniger Demokratie wagen! Dafür mehr Krieg. weiterlesen

Russisch Roulette für „westliche Werte“

Russland hat „den Krieg nach Europa zurückgebracht“?!
Nein, entgegen eines ARD-Kommentars vom 25. Februar war dies die NATO. 1999 bombardierte sie Serbien, ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg. Unter Joschka Fischers Schlachtruf „Nie wieder Auschwitz!“ hatte man eine Büchse der Pandora entdeckt: die „Responsibility to protect“. Theoretisch richtig, jedoch praktisch sehr problematisch, wenn der Sachverhalt im Dunkeln liegt. In der Nacht und im Bürgerkrieg sind alle Katzen grau. Kriegsreporter, die nicht wie gewünscht berichten, sind ihres Lebens nicht sicher oder werden nicht mehr vor Ort gelassen. Der SPIEGEL hatte damals in eloquenten Essays einseitig die serbischen Sicherheitskräfte als Barbaren vorgeführt, während UCK-Partisanen für die „gute“ Sache kämpften. Im Krieg stirbt die Wahrheit als Erstes. Im Nachhinein ist die Welt immer schlauer – und sei es durch „geleakte“ Informationen, deren Urheber in Hochsicherheitsgefängnissen landen („westliche Werte“?) -, aber dann ist es zu spät. Russisch Roulette für „westliche Werte“ weiterlesen

Demokratie heißt nun: Mehr Atomkrieg wagen!

  • 29.04.2022: Die Mehrheit des deutschen. Bundestages ist tatsächlich gewillt, einen Atomkrieg in Europa, auch ein deutsches Hiroshima, für „Werte“ zu riskieren (die Interessen verschleiern). Dafür setzen sie die europäischen Völker, nicht zuletzt ihr eigenes, beim Russisch Roulette aufs Spiel.
    https://www.focus.de/politik/deutschland/analyse-von-ulrich-reitz-wegen-putins-krieg-beerdigt-annalena-baerbock-gruenen-traum_id_90390610.html
  • „Es gab Zeiten, da wurde man wenigstens noch gefragt, ob man den totalen Krieg überhaupt will“ (Kabarettist Uwe Steimle). Die Strack-Zimmermann´sche Parole auf dem FDP-Parteitag („Salva Ukraini!“) fragt allerdings nur wenig anders.
  • „Niemand hatte die Absicht …“
    – eine Mauer zu bauen
    – eine Brüsseler Diktatur zu errichten
    – Corona-Impfpflichten einzuführen
    – oder „sozial credit points“ á la China;
    – den III. Weltkrieg auszulösen ….
  • „Den Teufel spürt das Völkchen nie – und wenn er sie beim Kragen hätte“ (Goethe, Faust I, 1808: Mephisto zu Faust)
  • Der „Westen“ unverändert kompromißlos: Bärbock sagte auf Nachfrage Anne Wills, daß man die Krim unbedingt zurückwill – entgegen dem Votum der dortigen Bevölkerung! Russland soll sich also ohne Gegenleistung aus der Ukraine zurückziehen und Krim zurückgeben – vorher gibt es keinen Frieden! Das ist der Weg in den III. Weltkrieg.
  • Auch ein III. Weltkrieg, den Putin verlöre, wäre einer zuviel.
  • Wenn es wirklich um die „regelbasierte“ Weltordnung ginge, hätte Deutschland anno 1999 Serbien gegen die NATO verteidigen müssen, anstatt sich an diesem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zu beteiligen.
  • Die „regelbasierte“ Weltordnung, für die die gleichen Leute, die sich vor Corona und CO2 in die Hose machen, jetzt den III. Weltkrieg (oder ein „deutsches Hiroshima“) riskieren, wurde zig mal von der US/NATO mit Füßen getreten, ohne daß ideologisches Tafelsilber hervorgeholt wurde.
    Diese Praxis ist und bleibt verlogen. Es muss mit Putin verhandelt werden.
  • Es eine völlige Verdrehung der Wahrheit, die Entspannungspolitik von Brandt, Genscher & Co. als Ursache des Ukrainekriegs hinzustellen – statt die auf die Spitze getriebene NATO-Osterweiterung. (Oskar Lafontaine bringt es in der aktuellen Weltwoche auf den Punkt[1]).
  • Der linksradikale Chomsky hatte Trump dafür verdammt, daß er die US-Südgrenze schließen wollte, muss aber ehrlicherweise Trumps diplomatische Haltung zum Ukrainekrieg in höchsten Tönen loben. Auch hier zeigt sich: Die Zukunft liegt im Querdenken![2]
  • In ökonomischer Hinsicht geht es dem US-Establishment im Ukrainekrieg darum, den EURO gegenüber dem Dollar zu schwächen – dem zentralen Pfeiler ihrer Hegemonie.[3]
  • Paradox im Ukrainekonflikt: „Unsere Regierung unterstützt mit Waffenlieferungen, was sie hierzulande als verfassungsfeindlich verfolgt“, nämlich den ethnischen Volksbegriff. (Rechtsstudent, zit. nach Michael Klonovsky[4])
  • George Orwell anno 2022: „Globalisierung heißt Frieden“

[1] https://www.nachdenkseiten.de/?p=83425

[2] https://twitter.com/ggreenwald/status/1520751923355398144?s=20&t=ShlhkLrqElA68ArA1tioKw

[3] https://multipolar-magazin.de/artikel/der-dollar-schluckt-den-euro?fbclid=IwAR0U59zmyDQu642UlyFokhY7atW0kSMAjNCUBLSCoLV9gAjGJMR58042Rlw

[4] „Sollte nicht die AfD nunmehr beim Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages ein Gutachten über die Frage in Auftrag geben, was für einen Volksbegriff die ukrainische Regierung vertritt? Mit anderen Worten: Wie lässt sich denn begründen, dass es irgendwo in dem geographischen Gebiet ‚Ukraine’ ein spezifisches Volk der ‚Ukrainer’ gibt, das einen unabhängigen Staat mit bestimmten Grenzen haben soll, ohne auf neuerdings gegen Art. 1 Abs. 1 GG verstoßende und daher verrufene Kategorien zu rekurrieren? Unsere Regierung unterstützt mit Waffenlieferungen, was sie hierzulande als verfassungsfeindlich verfolgt.“ (https://www.klonovsky.de/2022/03/das-afd-urteil-im-lichte-des-ukraine-konflikts/)

„Heil der Ukraine!“ Ist der „Kampf gegen rechts“ zu Ende? Warum nur noch der Zentralrat der Juden Europa vor dem III. Weltkrieg retten kann

„Slava Ukraini!“ (übersetzt: „Heil der Ukraine“) rief die Vorsitzende des Verteidigungsauschusses Strack-Zimmermann auf dem FDP-Parteitag vom 23. April.[1] Die Parole steht für die Forderung, der Ukraine deutsche Kriegswaffen zu liefern. Tatsächlich wurde das am 28. April vom Bundestag beschlossen.[2] 
Gibt es irgendeine rechtliche oder moralische Pflicht, die deutsche Bevölkerung durch ein Energie-Embargo gegen Russland frieren und verarmen zu lassen oder durch die Lieferung von Panzern zur Kriegspartei zu machen?

Es reicht schon der anstehende Energieboykott gegen Russland, um Deutschland vor die Wand zu fahren.[3] Wirtschaftsminister Habeck wies lapidar auf die Konsequenzen hin: Höhere Energiepreise, höhere Inflation und abgebremstes Wachstum. Das volle Programm. »Das bedeutet (…), dass Deutschland buchstäblich ärmer wird.«[4] Die oberen Zehntausend wird’s kaum jucken. Pointe: Laut „Frontal“-Recherchen muss Deutschland für russisches Gas selbst dann noch bis 2030 zahlen, wenn es nicht mehr importiert wird. So sehen es die Langzeitverträge zwischen deutschen Unternehmen und dem Gazprom-Konzern vor. Mehr als 140 Milliarden Euro könnten auf diese Weise aus dem Fenster geschmissen werden.[5]


Welche „Werte“ werden in der Ukraine verteidigt?

Gibt es irgendeine rechtliche oder moralische Pflicht, die deutsche Bevölkerung durch ein Energie-Embargo gegen Russland frieren und verarmen zu lassen oder durch die Lieferung von Panzern zur Kriegspartei zu machen? „Heil der Ukraine!“ Ist der „Kampf gegen rechts“ zu Ende? Warum nur noch der Zentralrat der Juden Europa vor dem III. Weltkrieg retten kann weiterlesen

Kleine Kulturphilosophie zum Russisch-Ukrainischen Krieg

Nicht nur realpolitische, sondern auch ideelle, christliche Gründe sprechen dafür, die Kooperation mit Russland, besonders den Gashandel, nicht abzubrechen – auch wenn das wegen des „völkerrechtswidrigen Angriffskriegs“ nur schwer nachvollziehbar ist.[1]

 I. Traditionelle Sicht auf Europa: Begriff des „Abendlands“

  1. „Abendland“ steht für unsere Zivilisation in Abgrenzung zum „Morgenland“ (Orient, Asien, Afrika).[2] Es umfaßt (mindestens) alle „europäischen“ Nationen und Kulturen, erstreckt sich also vom romanischen Kulturkreis im Westen über den mittleren deutschsprachigen bis zum slavischen Kulturkreis in Osteuropa.
  2. Seine Klammer ist das Christentum,[3] einschließlich der oströmischen, christlich-orthoxen Kirche. Nachdem Byzanz anno 1453 von Muslimen erobert wurde und die röm.-katholische Kirche seit dem II. Konzil das Christentum modernistisch-freisinnig entkernt,[4] sprechen manche sogar von Moskau als dem „III. Rom“, das die Flagge unverfälschten Christentums in die Zukunft tragen könne.
  3. Fraglos „gehört“ das durch byzantinischen Einfluß christianisierte und geographisch weit nach Europa hinreinreichende Russland zur „abendländischen“ Zivilisation – mag der Kulturphilosoph Oswald Spengler in „Der Untergang des Abendlandes“ auch anderer Auffassung sein. Zumindest wäre es skurril, die islamisch dominierte Türkei – nach wie vor ein EU-Anwärter – zum europäischen Abendland zu rechnen, Russland hingegen nicht.

II.  Die transatlantische Sicht:  Begriff des „Westens“

  1. Der US-Politologe Samuel Huntington warnte in „The Clash of Zivilisations“ (1996) vor zwei Herausforderungen des „Westens“, nämlich erstens Islam und zweitens: China. Dies spricht aus kontinentaleuropäischer Sicht für eine konsolidierende „Achse Paris-Berlin-Moskau“. Denn gerade die „gelbe Gefahr“ spricht dafür, die Kooperation mit Russland auf keinen Fall abreißen zu lassen – um Russland nicht immer weiter „in die Arme“ (John Mearsheimer) des heidnisch-laizistischen China zu treiben. Davor warnte auch jüngst aus ökonomischer Sicht Werner Sinn (Focus.de, 27.04.2022).
  2. Jedoch transportiert der Begriff „Westen“ die Sicht des angloamerikanischen Establisments auf Europa. Sein Interesse besteht darin, Russland im „Osten“, also außerhalb Europas zu halten. Seit mehr als 100 Jahren ist dies ein Grundpfeiler amerikanischer Außenpolitik. Auch die NATO wurde im Wesentlichen gegründet, „to keep the russions out“ – „and the germans down“. Mittlerweile machen geostrategische Vordenker kein Hehl mehr daraus. So offenbarte George Friedman auf einer Pressekonferenz beim Chicago Council on Global Affairs (2015): „Das Hauptinteresse der US-Außenpolitik während des letzten Jahrhunderts, im I. und II. Weltkrieg und im kalten Krieg, betraf Deutschland und Russland. Es bestand stets darin, zu verhindern, (…) daß deutsches Kapital und Technologie sich mit russischen Rohstoff-Ressourcen und Arbeitskraft zu einer einzigartigen Kombination verbinden“.[5] Ronald Reagan sprach sogar (nach der sowjetischen Invasion Afganistans) vom „Reich des Bösen“.[6]
  3. US-Regimes schützen ihre „Einflußsphäre“ nicht nur in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft (wie Russland), sondern machen sie weltweit geltend (z.B. aktuell in Chinas „Hinterhof“, den Salomon-Islands im pazifischen Ozean).
  4.  Die Popularität des transatlantischen Europa-Konzepts („Westen“) nährt sich schon seit der Zeit der Völkerwanderung (König Attila, †453, ist der „Etzel“ des germanischen Nibelungenliedes) von atavistischer Furcht vor grausamen Eroberern aus dem Osten (Hunnen, asiatische Mongolen und Muslime), hat also gute historische Gründe. Sie bestätigten sich 1945 durch die Brutalität russischer (aber auch amerikanischer) Soldaten nach der deutschen Kapitulation sowie in der stalinistischen Ära der Sowjetunion. Die Angst vor russischem Imperialismus ist besonders in Polen und im Baltikum gegenwärtig – jetzt, nach dem Überfall auf die Ukraine, erst recht.

Kommt die UDSSR zurück?

Die kommunistische UDSSR ist vor dreißig Jahren untergegangen. Allerdings verteidigt Putin neuerdings das stalinistische „vaterländische“ Erbe. An Solschenizyns „Archipel Gulag“ darf in Russland nicht mehr erinnert werden.
Jedoch wird man dies als Reaktion auf die antirussische Haltung des Westens begreifen können: Großbritannien warnte die Ukraine davor, zu schnell Frieden mit Russland zu schließen, um nicht »ausverkauft« zu werden.“[7] Und vor allem die USA unterstützten den Maidan-Putsch und die seitherige Entwicklung mit 5 Milliarden Dollar, obwohl er gewaltsam verlief und auch rechtsextreme Kräfte maßgeblich daran beteiligt sind. Zu Recht fragt der verteidigungspolitische Experte Willy Wimmer,[8] ein CDU-Urgestein: „Warum haben sich Nato-Staaten ausgerechnet das berüchtigte Asov-Regiment zum ´Objekt der Beratung´ (…) ausgesucht. Wer unter SS-Symbolen gegenüber Rußland antritt, muß doch mit der ganzen Wucht, die die Opfer des „Großen Vaterländischen Krieges“ bis heute hinterlassen haben, aus russischer Sicht rechnen.“[9]

Vorgeschichte des Angriffskriegs

Ohne die achtjährige blutige Vorgeschichte zur Kenntnis zu nehmen, kann man weder den Ukrainekrieg beurteilen, noch diplomatisch den Konflikt lösen. Der Vizepräsident der EU-Kommission a. D. Günter Verheugen (SPD) war für die EU-Osterweiterung zuständig; er lenkt den Blick auf zwei Fragen, die man „genau unter die Lupe nehmen“ müsse: „An wem ist das Minsker Abkommen gescheitert“ und: „Wer oder was hat die EU dazu getrieben, sich im Jahr 2013 an einer Regimechange-Operation in der Ukraine zu beteiligen?“[10]

Die erste Frage wurde schon oben beantwortet. Und das Minsker Abkommen? Hier hatte sich Kiew – eigentlich – verpflichtet, den „Dialog“ mit den ostukrainischen Separatistengebieten aufzunehmen, um ihnen größere Autonomie zu gewähren. Stattdessen wurde die militärische Unterdrückung des Selbstbestimmungsrechts der dort überwiegend russischstämmigen Bevölkerung fortgesetzt. An vielfältigem Terror ist insbesondere das „Massaker von Odessa“[11] von Mai 2014 gut belegt.[12] Und schon das Verbot der russischen Sprache an Schulen und Behörden bedeutete in einem Vielvölkerstaat eine Menschenrechtsverletzung. Die Frage, ob Putin ein lupenreiner Diktator ist, ist demgegenüber zweitrangig.

Stehen auch NATO-Staaten auf Putins „Speisekarte“?

Russland wurde im Zuge der NATO-Osterweiterung von neustationierten „Abwehr“-Raketen eingekreist. Im Süden muss es den Islamismus einiger zentralasiatischer GUS-Staaten in Schach halten. Obendrein sind russische Inseln nur 80 km von Alaska entfernt. Es ist ausgeschlossen, daß Moskau sich ohne Not mit der geballten NATO-Macht anlegt, indem es im Baltikum oder in Polen einmarschiert oder gar erneut bis Berlin „durchrutscht“. Man befürchtet zwar, daß die Ukraine „zum Sprungbrett für mögliche Militäroperationen gegen Russland“ wird, was „angesichts der Länge deren Grenze“ nachteilig sei. Mit der NATO-Mitgliedschaft der kleineren baltischen Länder sei das aber „nicht zu vergleichen“ (so der Kreml-Thinktank „Valdai-Club“)[13].

Und wenn auch noch Finnland in die NATO aufgenommen wird? Dann darf man sich nicht wundern, wenn Russland auch hier an seinen Grenzen militärisch aufrüstet, so bedauerlich und aberwitzig eine solche Entwicklung auch wäre.

Kollektiv- und Sippenhaft: erst die Deutschen – jetzt die Russen?

Wer sich am deutschen Schuldkomplex aus zwölf dunklen Jahren stört, sollte auch die Russen aus einer ewigen Kollektiv- und Sippenhaft entlassen, die aufgeklärtem Denken zuwiderläuft.
Doch das US-Establishment instrumentalisiert beides für seinen „Werte“-Imperialismus. Man spekuliert auf die ressourcenreiche Landmasse, will aber die russische Kultur und „Seele“ eliminieren, jedenfalls von Europa fernhalten. So wie nach 1945 schon das deutsche Wesen durch antifaschistische „Umerziehung“ extrahiert wurde; leider vor allem gute Eigenschaften, während die Auswechslung der Herren die deutsche Autoritäts- und „Experten“-Hörigkeit unangetastet ließ, wie die Coronakrise zeigt: wo sich eine Mehrheit mehrfach mit dubiosen Impfstoffen boostern ließ und viele ihre „Alltagsmasken“ am liebsten gar nicht mehr abziehen würden.

„Farbrevolution“ in Deutschland
Finales Ziel der USA ist offensichtlich, auch in Russland eine pseudo-demokratische „Farbrevolution“ im Sinne des Börsenmilliardärs George Soros zu lancieren, um erneut eine Regierungs-Marionette vom Schlage Boris Jelzins zu installieren. Auch Russland soll zugunsten volksverräterischer Oligarchen und ausländischer Großinvestoren „privatisiert“ und ausgebeutet werden. Das Ergebnis solch wenig „marktwirtschaftlicher“, ja mittelstandsfeindlicher Politik läßt sich u.a. in der Ukraine besichtigen, dem – trotz immenser Bodenschätze – ärmsten, aber laut Transparency International „korruptesten Land Europas“,[14] gelenkt von den reichsten, aber verkommensten Oligarchen, die sich – ganz im Sinne des Philosophen Jürgen Habermas – von den „Fesseln der Sittlichkeit“ emanzipierten.

Die meisten sehen nicht, daß eine solche Farbrevolution auch in Deutschland vonstatten geht, wenn auch subtiler, u. a. ersichtlich am Ausverkauf deutscher DAX-Unternehmen an multinationale Konzerne. Dafür gibt es immer mehr Anzeichen. Als politisch „korrekt“ gelten nur noch die universalistischen Werte der französischen und amerikanischen Revolution („Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“,) die als „europäische Werte“ auch in den EU-Verträgen ihren Niederschlag fanden.[15] Absolute Priorität hat die „Toleranz“ gegenüber allem kulturell Fremden – je fremder, desto besser. Allgegenwärtig ist die gebieterische „Respekt!“-Forderung, im Sport, in der Kunst und den Mainstreammedien. „Gleichberechtigung“ und „Antidiskriminierung“ verkommen in der Praxis zu Radikalfeminismus und zur Quotenherrschaft ethnischer, religiöser und sexueller Minderheiten über die Mehrheit. Während traditionelle Werte wie „Gott, Familie, Vaterland“ in einem schleichenden Prozeß „wissenschaftlich“ „dekonstruiert“ werden.

Durch „Wertewandel“ zum orwell´schen Weltstaat

Seit den 1980er Jahren ist die Rede vom „Wertewandel“ allgegenwärtig. Inwieweit dieser objektiven Gegebenheiten oder willkürlichen Agenden folgt, vermag niemand zu sagen. Schon in Goethes Faust bemerkt Mephisto auf dem Maifest: „Man weiß nicht: Schiebt man oder wird man geschoben?“ Ein Sinnbild für die Funktionsweise allen Zeitgeists. Der „Strukturwandel“ in Permanenz hat einen tieferen Sinn und ideologischen Kern: Er besteht darin, die Bevölkerung unter dem Mimikri von „Demokratie und Menschenrechten“ mit dem „aufgeklärten“ Geist des atheistischen Materialismus (oder nonchalanter religiöser Indifferenz) zu infizieren. Wie u.a. Erzbischof Viganò seit seinen offenen Briefen an Donald Trump herausarbeitet, geht es dabei letztlich um die Infiltrierung von Jung und Alt mit einer freimaurerischen Weltanschauung, die ewigen Frieden auf Erden verspricht.
Doch der Kaiser ist nackt: Im erdumspannenden Ameisenstaat würde der „Weltbürger“ totalüberwacht und jede Opposition in orwell´scher Manier unwideruflich verunmöglicht werden. Jeder „Fortschritt“ wird primär an diesem Ziel bemessen. Endstation Sehnsucht sind die transhumanistischen Visionen des Weltwirtschaftsforums (WEF): Mittels Gen-, Bio- und Nanotechnologie sollen die Grenzen zwischen Tier, Mensch und Maschine verschwimmen. Indes: „Den Teufel spürt das Völkchen nie – und wenn er sie beim Kragen hätte“ (Mephisto in Goethes Faust).

Plötzlich hat nationale Souveränität wieder Konjunktur

Ja, auch nationale Souveränität und territoriale „Unabhängigkeit“ haben derzeit wieder Konjunktur. Aber nur, weil das der „nationalen Sicherheit“ der USA dient. Man vergleiche die momentane „Haltung“ zur Ukraine, die das legitime Selbstbestimmungsrecht der Krim- und Donbass-Bevölkerung glatt übergeht, mit der seinerzeitigen antinationalen Rhetorik beim NATO-Angriffskrieg gegen Serbien zugunsten der muslimischen Kosovo-Bevölkerung (1999)!

Gerade der – im Grunde schon seit 2014 andauernde – Krieg in der Ukraine offenbart deutlicher denn je die Doppelzüngigkeit „westlicher Werte“.

Fazit: Es sprechen nicht nur die realpolitische, sondern auch ideelle, sogar christliche Gründe dafür, die Kooperation mit Russland, insbesondere den Gas-Handel, nicht abzubrechen – auch wenn das für viele wegen des unbestreitbar „völkerrechtswidrigen Angriffskriegs“ derzeit nur schwer nachvollziehbar ist.


[1] Inspiriert durch die Diskussionsrunde „Hat das Abendland eine Zukunft? Engels, Krah, Sell, Tillschneider, Weißmann“ vom 19.2.2022 im Rahmen der Reihe „Dresdner Gespräche“ (URL: https://www.youtube.com/watch?v=_txJtFjJQV0).

[2] Morgenland und Orient, der sprachlich mit „Osten“ und „aufgehender Sonne“ zusammenhängt, wurden in der Lit. unterschiedlich weit gefasst und zeitweilig über Indien hinaus ostwärts ausgedehnt (Wikipedia).

[3] Auch in der russisch-orthodoxen Kirche sind wichtige Elemente der Liturgie Geburt, Kreuzigung und die Auferstehung Christi
(Manfred Zorn, https://www.navigator-allgemeinwissen.de/christentum/christliche-konfessionen/bedeutung-russisch-orthodox.html)

[4] Insb. akzeptieren westeuropäische Amtskirchen die (der Bibel widersprechenden) Evolutionstheorie Darwins, derzufolge der Mensch vom Affen abstammt, propagieren die „abrahamitische“ Weltökumene der monotheistischen Religionen, was den Kern des christlichen Glaubens – die Gottessohnschaft Jesu Christi – aufweicht, und stellen konsequenterweise die tradierte „Judenmission“ – v.a. mit Blick auf die Schoa – ein.

[5] G. Friedman, anläßlich seines Buches ´Flashpoints. The Emerging Crisis in Europe´(erschienen 2/2015), URL: https://www.youtube.com/watch?v=ablI1v9PXpI (Abruf: 6.4.2021)

[6] WDR, 11.08.2014, URL: https://www1.wdr.de/stichtag/stichtag8542.html.

[7] Junge Welt.de, 2.4.2022, /artikel/423822.russischer-einmarsch-london-setzt-auf-krieg.html

[8] Willy Wimmer (CDU) war zwischen 1985 und 1992 erst verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU und dann Parlament. Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, von 1994 bis 2000 Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE. (Wikipedia)

[9] W. Wimmer, Ostern 2022, https://www.world-economy.eu/nachrichten/detail/nato-und-das-asov-regiment-in-mariopol/?fbclid=IwAR0aipjBmSkNtfEr7JQjpT2IMBdL5bUzweQnaW3kprgMGE1EFTNNafhHxE0

[10] https://www.extremnews.com/nachrichten/weltgeschehen/6e711892806046f

[11] Nicht zu verwechseln mit dem historischen Massaker von Odessa (1941), bei dem Juden im Rahmen des Holocausts durch rumänische Truppen unter deutscher Anleitung ermordet wurden. (Wikipedia)

[12] S. etwa: „Ukrainian Agony, Der verschwiegene Krieg“, ein immer wieder von YouTube gelöschter Dokumentarfilm von Mark Bartalmai (Pseudonym), https://www.youtube.com/watch?v=sy759dlJWYE

[13] Iwan Tomofejew, Januar 2022, valdaiclub.com, übersetzt von https://www.wochenblick.at/welt/der-untergang-des-westens-krieg-ist-russland-beste-chance-sanktionen-einkalkuliert/ (08.03.2022),

[14] Bundeszentrale für politische Bildung (Bpb), 12.06.2015, /208194/dokumentation-presse-stimmen-zur-korruption-in-der-ukraine/; zum Oligarchen Kolomoisky als „Selenskys gefürchteter Helfer“: Sueddeutsche.de, 23.04.2019, /politik/kolomoisky-praesidentschaftswahl-in-der-ukraine-selensky); zur internat. „Geldwaschmaschine“ Unkraine: Peter Haisenko, 07.04.2022, https://www.anderweltonline.com/klartext/klartext-20221/oligarchen-lieben-ihre-ukraine/

[15] „Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.“ (Artikel 2 EU-Vertrag)

Problembär Liberalkonservatismus: „Dusch´ mich, aber mach mich nicht naß!“ Oder: Die Zukunft gehört dem Querdenken

Viele deutsche Liberalkonservative lehnen sowohl Nationalkonservatismus, als auch „Querdenken“ ab –  jedoch nur bei ihren Landsleuten, nicht hingegen im Ausland.

Während sich Thilo Sarrazin mit Werner Patzelt, Karlheinz Weißmann und JF-Chefredakteur Stein einig sind, dass die AfD sich „selbst zerlege“, wenn sie nicht genügend Abstand zur „esoterischen“ Querdenkerszene hielte,[1] sieht man andererseits die österreichische FPÖ unter Kickl und den französischen Rassemblement National (RN) als geistig „Verbündete“.

Obwohl Parteien dieser Art – erstens – von ihrem Wesen her eindeutig mehr patriotisch-„nationalkonservativ“ als liberalkonservativ sind, weil sie den grundlegenden Dissens zwischen Nation und globalistischen Eliten zur Gretchenfrage erheben. Zweitens den geforderten Abstand zur protestierenden „Straße“ eben gerade nicht einhalten. Und – drittens – durchaus „querdenkend“ sind, insofern sie „rechte“ und macht- und sozialkritische (also klassisch „linke“) programmatische Elemente verknüpfen.

Sogar die mitreißende Rede des sehr migrations- und islamkritischen französischen parteilosen Konservativen Eric Zemmour – der in Deutschland sicher unter Beobachtung des Verfassungsschutzes geriete – findet im liberalkonservativen Lager – bemerkenswert unkritische – Beachtung.

Alles schön und gut; nur: wo bleibt die Logik dahinter?

Seit Jahren beklagen Liberalkonservative in Unionsparteien und FDP zu Recht einen Ruck nach „Linksgrün“, Massenmigration aus islamischen Staaten und die Transfer-/Haftungsunion innerhalb der EU, neuerdings auch Klima- und Coronadiktatur (auch wenn sie „seriösere“, „diszipliniertere“ Begrifflichkeiten verwenden). Dennoch zieht selbst die „Werteunion“ eine Koalition mit der AfD nur in Betracht, wenn deren nationalkonservativer Flügel (das „Geflügel“) verschwindet. Eine so amputierte Allianz aus neokonservativen „Wirtschaftsliberalen“ bis Libertären und „Kreml“-gegnerischen Transatlantikern – womöglich unter Führung von Friedrich Merz – könnte Deutschlands Absturz allenfalls etwas abbremsen, aber nicht aufhalten.

Jüngst berief sich der liberalkonservative EU-Parlamentarier Nicolaus Fest (AfD) zur Legitimierung des typischen „Dusch-mich-aber-mach-mich-nicht-naß“-Kurses im Gespräch mit dem strategischen Kopf des RN, Philippe Olivier, auf die rechtzeitige Abkehr von Jean-Marie Le Pens „altrechtem“ und zum Teil wohl antisemitischem Kurs durch seine Tochter Marine le Pen („Was könnte die AfD vielleicht vom Rassemblement lernen und übernehmen?“).[2] Womit Fest subtil insinuiert, Deutschlands neue Rechte bzw. der nationalkonservative AfD-Flügel sei völkisch im nationalsozialistischen Sinne oder hätte einen solchen Schwenk jedenfalls ebenfalls bitter nötig. Ein Beispiel dafür, wie führende Liberalkonservative immer wieder mit Dreck aus der Munitionskammer des linksliberal-grünen Lagers werfen (das sie bekämpfen), anstatt den Schulterschluß mit Nationalkonservativen zu suchen.

Ähnlich die Linke Sahra Wagenknecht mit ihrem womöglich schmerzhaften Spagat, einerseits linksliberale „woke“ „Selbstgerechtigkeit“ zu geißeln und sich zum Fürsprecher nationaler Solidarität aufzuschwingen,  andererseits sich aber in den Talkshows vom Establishment dazu instrumentalisieren läßt, die AfD als Konglomerat brauner Unmenschen zu geißeln. Hat sie nicht in Wahrheit mehr Gemeinsamkeiten mit dem „sozialpatriotisch“-nationalen AfD-Flügel, als mit den allermeisten ihrer Parteigenossen? Auch so wird aus viel Wahrem und Richtigem letztlich und leider unter dem Strich Unsinn.

Ganz zu schweigen von den allzu regime-nahen westeuropäischen Amtskirchen, deren Funktionsträger – bis hin zum Papst – dem Christentum den Rest geben, indem sie in unverantwortlicher Weise interkontinentale Massenmigration, grenzenlosen Globalkapitalismus,[4] freimaurerischen religiösen „Weltethos“-Mischmasch, „CO²-Neutralität“ und Corona-Impfpflicht als unabdingbare Christenpflichten reklamieren.

Deutschlands gordischer Knoten

Angesichts künstlich ausgehobener Gräben und nachweislich erfolgloser Strategien kann Deutschlands gordischer Knoten niemals gelöst werden. Schon dieser knappe Problemaufriß zeigt die mittel- und langfristig notwendige politische Therapie gegen die „Abschaffung“ Deutschlands und der christlichen Zivilisation: Die Zukunft gehört dem „Querdenken“ – verstanden als Verknüpfung nationalkonservativer, antiglobalistischer (also „rechter“) mit macht- und sozialkritischen (also klassisch „linken“) sowie altchristlichen programmatischen Elementen.[3]


NACHTRAG: Aber genau das scheuen die Liberalkonservativen wie der Teufel das Weihwasser. Wie folgender Vorgang verdeutlicht: Im Januar 2022 nominiert die AfD den Werteunion-Vorsitzenden Max Otte (CDU) zum Bundespräsidentschafts-Kandidaten. Daraufhin wirft die CDU Otte aus der Partei. Sie unterstützt stattdessen „Feine-Sahne-Fischfilet“-Fan Frank-Walter Steinmeier (SPD), über den die NZZ am 03.09.2018 berichtete: „Bundespräsident Steinmeier (…) trommelt für ein Gegen-Rechts-Festival, bei dem eine Band auftritt, die jahrelang in Verfassungsschutzberichten auftauchte – weil sie Gewalt gegen «Bullen» feiert.“ [5]
Absolutes Menetekel aber ist die Äußerung des AfD-Co-Parteivorsitzenden Jörg Meuthen gegenüber der WELT: „Max Otte steht innerhalb der AfD-Positionen weit rechts außen und mitnichten in der Mitte der AfD. Es erstaunt mich, daß die CDU Otte solange toleriert hat.“ Mit diesem Tritt unter die Gürtellinie eines Klügeren hat sich Meuthen nicht nur intellektuell, sondern auch charakterlich disqualifiziert.

Einzig die Schweizer WELTWOCHE überlegt besonnen: „Was ist wichtiger: Für was jemand steht? Oder wer für ihn einsteht? Was spricht dagegen, Qualität zu wählen anstelle von Parteibuch? Wie «rechts» ist eine Partei, die einen vernünftigen Ökonomen mit dem Wertekodex der alten CDU nominiert?“[6]


[1] Machtwechsel in Berlin: Wohin steuert Deutschland? (JF-TV Debatte mit Dieter Stein), 10.12.2021, URL: https://www.youtube.com/watch?v=ILPU5PUHhWw

[2] Französischer Spitzenpolitiker zu Migration, Zemmour, Ampelkoalition, AfD! – Dr. Nicolaus Fest (AfD), 12.12.2021, URL: https://www.youtube.com/watch?v=tHCUbxfzQQg&t=18s

[3] Richtig: Ahrens/Wolters, Postliberal, Ein Entwurf, Antaios 2021, sowie viele Beiträge im von den Autoren gegründeten neuen „Konflikt Magazin“. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt der konservative Politologe und Publizist Manfred Kleine-Hartlage in wegweisenden Schriften seit ca. 2010. In diesem Zusammenhang ist auch der altchristliche Sozialphilosoph Günter Rohrmoser (*1927; † 2008) zu nennen, etwa „Kann die Moderne das Christentum überleben. Oder Kann die Moderne ohne das Christentum überleben?“, (Hg. Von Harald Seubert, Logos Editions 2013), sowie der katholische Erzbischof, Papstkritiker und „Verschwörungstheoretiker“ Carlo Maria Viganò (https://katholisches.info/2021/12/18/erzbischof-vigano-die-luegner-und-boeswilligen-empoeren-sich-ueber-die-wahrheit-das-verwundert-nicht/?fbclid=IwAR0KNIDHJpscNNZmSNzFGzt6xRjCo5pxgDDZ1DQ1K4NBAVifMwwQGuCx7CM).

[4] Zu Recht kritisch gegenüber der zunehmenden Allianz zwischen Rom, Rothschild, Klaus Schwab & Co.: Norbert Häring, Endspiel des Kapitalismus, Wie die Konzerne die Macht übernahmen und wie wir sie zurückholen, Quadriga 2021.

[5] https://www.nzz.ch/international/das-deutsche-staatsoberhaupt-wirbt-fuer-die-band-feine-sahne-fischfilet-eine-instinktlosigkeit-ld.1416765 

[6] https://www.weltwoche.de/beitrag/die-afd-nominiert-werteunion-chef-max-otte-fuers-amt-des-bundespraesidenten-in-der-cdu-fordern-sie-seinen-ruecktritt-warum-bloss/