Anläßlich des Terrorangriffs der Hamas auf Israel und der antisemitischen Demonstrationen von Muslimen fand ein Solidaritätskonzert beim Berliner Ensemble statt („Gegen das Schweigen. Gegen Antisemitismus“). Auf Initiative des Pianisten Igor Levit gaben sich dort zahlreiche Künstler und Prominente ein Stell-dich-ein. U. a. sieht man Wolf Biermann, Die Toten Hosen, Michel Friedman, Dunja Hayali, Fernsehkoch Tim Mälzer, „Klima“-Ikone Luisa Neubauer und Paul Zichner mit Tanzorchester. Gemeinsam will man mit Musik und Literatur „ein Zeichen gegen Antisemitismus setzen.“ Nur bleibt – politisch korrekt – nicht nur Ross und Reiter mal wieder ungenannt; sie werden sogar ausgetauscht: Nicht der Islam, sondern das Christentum gerät auf die Anklagebank.
Erst gegen Ende der Veranstaltung kommt es zum Schwur: Die Schauspielerin und Regisseurin Maria Schrader liest einen Text des Philosophen Theodor Adorno, des Säulenheiligen der Frankfurter Schule der „Kritischen Theorie“[1]: Und zwar den Essay „Musterung“ aus einem der Hauptwerke Adornos, der Minima Moralia (Suhrkamp 1951).
Adorno prangert hier – wie schon in seiner „Dialektik der Aufklärung“ – eine nur noch „instrumentelle“ (z.B. auch kommerzielle) Vernunft an – die er überall am Werke sieht: Naturgemäß würden Agenten „praktischer“ Interessen alle Menschen einer „Musterung“ mit nur einem einzigen Wertkriterium unterziehen: Ob er „geeignet oder ungeeignet“ sei, brauchbar für persönliche Karrieren oder die politischen Ziele der jeweils aktuellen, totalen Massen-„Bewegung“. Nur hiernach entscheide sich, ob das jeweilige Gegenüber Freund, Feind, Spreu oder Weizen sei. Alles sehr interessant … Nur: Worauf will die Adorno-Rezitatorin – im Hinblick auf den fürchterlichen Anlaß der Veranstaltung – hinaus´?
Von Kant über Adorno zum Bundesverfassungsgericht
Gestatten Sie mir an dieser Stelle eine Zwischenbemerkung. Großvater dieses Gedankens Adornos ist wohl Immanuel Kant, dessen Menschenwürde-Begriff wiederum Grundlage der „Objekt-Formel“ des Bundesverfassungsgerichts wurde: Menschenwürde sei zwar schwer positiv bestimmbar, aber negativ durchaus auf den Begriff zu bringen: sie sei jedenfalls verletzt, „wenn der konkrete Mensch zum Objekt, zum bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe, herabgewürdigt wird“. So interpretierte der berühmte Verfassungsjurist Günter Dürig das Grundgesetz zu einer Zeit, als noch niemand vom „Transhumanismus“, „Klonen“ oder „Leihmüttern“ sprach und die individuelle menschliche Seele noch nicht allein auf („nichts als“) Physik, Gehirnchemie oder kopierbare digitale Daten reduziert wurde. Dürigs Definition war auch eine frühe christlich-fundierte Absage an einen globalen orwell´schen Ameisenstaat – mag er noch so „effizient“ sein. Adorno-Revival: Nicht der Islam, sondern das Christentum gerät auf die Anklagebank weiterlesen