Streit um das „Volk“ und den Islam – ist die Zeitenwende unvermeidlich ?

Maximilian Krah sieht „die Epoche der Nationalstaatlichkeit vorüber“[1] und Deutschlands Zukunft unvermeidlich als „multiethnisches Land“. Martin Sellners „Remigrations“-Konzept lehnt er ab, weil es eine „Ungleichbehandlung der Staatsbürger nach ethnischen Kriterien“ bedeute (15.06.2025, X) und die Gefahr eines AfD-Verbots heraufbeschwöre.[2] Sellner kontert: Krah würde „anscheinend einen Vielvölkerstaat“ vertreten, „ohne erst zu versuchen, um ein deutsches Deutschland zu kämpfen.“ (17.06.2025, X).

Vorbemerkung: Ist der Kampf um die Bewahrung eines „deutschen“ Deutschlands – oder eines „europäischen“ Europa – per se verfassungswidrig ?

  1. Nicht, soweit er sich beschränkt auf eine „restriktive Migrations- und Einbürgerungspolitik“. Verlautbarungen der AfD, daß „eine übermäßige Migration die eigene Identität bedrohe“, seien für sich genommen verfassungsrechtlich unbedenklich, stellte das OVG Münster fest.[3] Ex-Kanzler Olaf Scholz forderte im Spiegel sogar „Abschiebungen im großen Stil“, und schon Angela Merkel eine „nationale Kraftanstrengung“, ohne daß dies vom Verfassungsschutz als verfängliche Bestrebungen markiert worden wäre. Und das aktuelle Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum Compact-Magazin stellt immerhin fest, daß „eine Vielzahl der (…) migrationsfeindlichen Äußerungen sich (…) auch als überspitzte, aber letztlich (…) zulässige Kritik an der Migrationspolitik deuten“ läßt.[4]
  2. Doch die Dinge sind noch in Bewegung. Progressiverer Auffassung ist die mittlerweile (wohl) herrschende Meinung in der Fachliteratur. Vorreiter ist der renommierte liberale Staatsrechtslehrer Christoph Möllers, der 2017 den Bundesrat im NPD-Verfahren anwaltlich vertreten hat. Er propagiert, daß das Grundgesetz aus menschen- und demokratierechtlichen Gründen jeden „ethnischen“ Volksbegriff „verfassungsrechtlich mißbillige“.[5] Diese Dogmatik lehnt sich einen „Verfassungspatriotismus“ nach US-Vorbild an und bricht mit der traditionellen deutschen Staatslehre. Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinen Urteilen zu den EU-Verträgen noch die Bewahrung relativer „kultureller Homogenität“ (aus demokratietheoretischen Gründen) verlangt. Möllers Position läuft hingegen historischer und bisher gängiger Auslegung des Grundgesetzes zuwider:[6] Ohne „ethnischen Volksbegriff“ wäre es nicht jahrzehntelang verfassungsrechtliche Verpflichtung der Staatsorgane gewesen, auf die deutsche Wiedervereinigung hinzuwirken.[7] Während der deutschen Teilung nach 1945 gab es zwei deutsche „Staatsvölker“ (BRD und DDR), aber nur ein deutsches Volk „im ethnischen Sinne“. Dieses hat nach der ursprünglichen Grundgesetz-Präambel nicht nur seine „staatliche“, sondern seine „nationale Einheit“ zu „bewahren“. Warum sollte man die Verfassung jetzt – nach vollzogener Wiedervereinigung – plötzlich gegenteilig interpretieren ? Müßte derart Grundstürzendes nicht sogar gemäß Art. 146 GG „vom deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen“ werden ?[8]

Zudem: Sowohl dem völkerrechtlichen Selbstbestimmungsrecht gemäß der Internationalen Menschenrechtskonvention („Zivilpakt“), als auch dem Kardinal-Straftatbestand des Völkermordes liegt ein – auch – „ethnischer“ Volksbegriff zugrunde. (Sonst hätte man z.B. vor der Staatsgründung Israels den Tatbestand eines Völkermordes an den Juden nicht bejahen können).

Dennoch ist nicht ausgeschlossen, daß auch Karlsruhe der neuen Dogmatik folgt. Denn im „Jahresbericht 2024“ des Bundesverfassungsgerichts über sein Urteil zum Finanzierungsausschluss der NPD[9] heißt es: Die Partei „missachtet den Grundsatz der Menschenwürde, indem sie [sic !] am ethnischen Volksbegriff und der Vorstellung von der deutschen ´Volksgemeinschaft´ als Abstammungsgemeinschaft festhält.“[10]


Krahs Position

  1. Krahs Ausgangspunkt: Es sei aus Rechtsgründen kaum möglich, genügend schlechtintegrierte Migranten – vor allem von den Millionen, die seit Merkels „Grenzöffnung“ hineinströmten – wieder zu „remigrieren“, um eine relative kulturelle Homogenität des deutschen (Staats-) Volkes wieder herzustellen. Zumal viele bereits eingebürgert wurden. Tatsächlich ist die Vergabe der Staatsbürgerschaft nach dem Grundgesetz (Artikel 16) – aus guten Gründen – (fast) immer als gegeben hinzunehmen und Grundgesetzänderungen benötigen Zweidrittel-Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat.

  1. Es gälte daher nun, eine weitgehend irreversible demographische Entwicklung „intellektuell nachzuvollziehen“.
  2. a) Krah warnt die AfD davor, den „Staat dazu in Anspruch [zu] nehmen (…), die Homogenisierung am Maßstab der Ethnie anstatt an Werten der Verfassung durchzuführen.“[11] Damit lehnt er sich an Möllers Dogmatik an, die die „Werte der Verfassung“ auf eine politisch korrekte civil religion der „gleichen Freiheit“ und „Toleranz“ verengt. Diese Art von „Leitkultur“ ist das, was gegenwärtig polizeilich im Rahmen eines großangelegten Umerziehungsprojektes durchgesetzt wird: nicht etwa gegen eine Migrantifa aus Islamisten, „Event-people“ und gewaltaffinen „Antifaschisten“, sondern durch Hausdurchsuchungen und PC-Beschlagnahmen bei normalen, aber oppositionellen Bürgern, denen man „Hatespeech“ oder Regierungskritik vorwirft.
  3. b) Zudem dekonstruiert Krah die historische Genese und ideelle Grundlage des deutschen bzw. kontinentaleuropäischen Nationalstaats als „national-liberale Legende des 19. Jahrhunderts“ (Krahs „Thesen“ Nr. 7 und 8). Ähnlich hatte sich schon Wolfgang Schäuble (CDU) geäußert. Außer bei der EU-Kommission wird man damit nirgendwo auf Gegenliebe stoßen. Schon gar nicht bei unseren osteuropäischen Nachbarn oder Israelis oder Japanern. Im Grunde sprengt das auch den Daseinsgrund der AfD.
  4. c) Bei der Integration von Migranten müsse man künftig wie folgt differenzieren: Einige Gruppen könnten problemlos „eingeschmelzt“ werden ins Volk, vor allem die aus Europa und Russland – andere hingegen, v.a. „aus dem Mittleren Osten und Afrika“, sollen in Parallelgesellschaften (ohne Assimilation) unter sich bleiben. Die als Klammer gedachte „deutsche Leitkultur“ wird dann zum Etikettenschwindel: Einerseits sollen im öffentlichen Leben überall „deutsche Sitten und Gebräuche“ tonangebend sein, andererseits in Parallelgesellschaften „intern“ der Heimatkultur gefrönt werden dürfen.[12] Sicher kein Problem bei Japanern oder Sorben etc. ! Aber wo verläuft die Grenze zwischen „privat“ und „öffentlich“, wenn beides vom Koran bestimmt ist ?

Für obligatorisch hält Krah z.B.: Schulbesuch und geschlechtsübergreifenden Schwimmunterricht sowie die deutsche Amtssprache.[13] Wohingegen der Staat schariakonformes Clanleben als „Freiheit anderer“ respektieren soll.[14] Damit werden u.a. die typischen religiös begründeten Extrawürste affimiert: Schächten von Tieren als Ausnahme vom Tierschutzgesetz. Rituelle Genitalbeschneidung bei Jungen trotz sonst striktem BGB-Verbot von Gewalt und „anderen entwürdigenden Maßnahmen“ in der Erziehung;[15] Genitalbeschneidung bei Mädchen ? Noch nicht … Unklar bleibt bei Krah, ab wann soll der Staat – etwa wegen Kindeswohlgefährdung oder Zwangsverheiratung – einschreiten soll. Es ist auch kaum einzusehen, warum Bestrebungen nach ethnisch-kultureller Apartheid verfassungskonformer sein soll als nach Assimilierung oder wenigstens nach mehr Gleichheit aller Ethnien und Religionen vor dem Gesetz.

III. Sellners Position

Hier liegt der wesentliche Unterschied zu Martin Sellner, der „Leitkultur“ als Teil eines Remigrationskonzepts versteht. Motto: Je robuster der Staat nicht nur Kriminalität bekämpft, sondern auch eine Leitkultur (u.a. durch „De-Islamisierung“) durchsetzt, desto mehr Assimilationsverweigerer würden „freiwllig“ die Koffer packen.

Doch das Bundesverwaltungsgericht stellt bei der Aufhebung des Compact-Verbots in einem obiter dictum fest, daß dies gegen die Diskriminierungsverbote des Artikel 3 GG verstößt und daher verfassungswidrig ist: „Diese Vorstellungen (…) gehen von einer zu bewahrenden ´ethnokulturellen Identität´ aus und behandeln deshalb deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund als Staatsbürger zweiter Klasse. Diejenigen, ´die sich nicht assimilieren können oder wollen´, sollen zumindest durch Druck – insbesondere durch eine ´Politik der De-Islamisierung´ – zur ´Remigration´ in ihre Herkunftsländer bewegt werden.“ (Zitat Ende).[16]

Sellner hat zwar verdeutlicht, daß er keineswegs an der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz „rütteln will“ und keine ethnisch oder religiös begründete „Zweiklassengesellschaft“ anstrebt.[17] Doch auch staatliche Maßnahmen, die den Zweck verfolgen, Eingebürgerte zur „freiwilligen“ Ausreise zu bewegen, wenn sie sich nicht hinreichend „assimilieren“ – mögen sie sich i. Ü. gesetzestreu verhalten -, könnte in Karlsruhe als „indirekt diskriminierend“ oder „gruppenbezogen menschenfeindlich“ betrachtet werden – oder als „autoritärer Nationalstaat“ im Sinne des NPD-Urteils.[18]

 Läßt sich Sellners Konzept „retten“ ?

Der Kollege Gerhard Vierfuß – möglicherweise Sellners Fachlektor – , protestiert gegen das Urteil: „Alle Vorschläge, die darauf zielen, nicht assimilierte Staatsbürger zur Remigration zu veranlassen, sind generell-abstrakt und ethnisch neutral. Sie bestehen vor allem [1] in der strikten Etablierung einer kulturell deutschen Leitkultur, [2] einer rigorosen Kriminalitätsbekämpfung und [3] der Gewährung von Rückkehranreizen. Alle diese potentiellen Maßnahmen haben den Charme, zwar abstrakt alle Staatsbürger gleichermaßen zu adressieren, konkret aber präzise die Zielgruppe zu treffen.“[19]

Pro „Kriminalitätsbekämpfung“ sind ja die Meisten, und zu Vorschlag 3 ist anzumerken, daß Helmut Kohls „Rückkehr“-Programm nicht Eingebürgerte, sondern nur schlechtintegrierte Ausländer betraf. Entscheidend ist aber der erste Vorschlag: Durch „strikte Etablierung kulturell deutscher Leitkultur“ sollen „nicht assimilierte Staatsbürger“ „zur Remigration veranlaßt“ werden. Ist das „generell-abstrakt und ethnisch neutral“ ? Schon deshalb nicht, weil es Staatsbürger ohne Migrationshintergrund nicht betrifft. Sie müssen sich nur an die Gesetze halten, aber sich ansonsten nicht kulturell „einfügen“ – ohne (wie in vormodernen Zeiten) „verbannt“ oder hinausgemobt zu werden; auch nicht „langfristig“ oder „maßvoll“.[20]

Ist „De-Islamisierung“ – unglücklicher Begriff (!) – also ein Programm zur „Entrechtung“ von Menschen islamischen Glaubens ? Oder läßt sich Sellners Vorschlag in präsisierter, engerer, sachlicherer Form retten ? Bei der verfassungsrechtlichen und ethischen Beurteilung ist zu differenzieren:

  1. Migrantenquoten im Staatsdienst sind sicher nicht verfassungsrechtlich geboten; vielmehr verlangt das Grundgesetz eine Kandidatenauswahl nach Eignung und Leistung (Artikel 33).
  2. Von ´ungeschriebene´ Regeln (z.B. in staatlichen Kindergärten und Schulen wird kein Schweinefleisch mehr angeboten) darf abgewichen werden. Solche Fragen regelt u. a. der Markt. Zulässig wäre aber eine landesgesetzliche Verpflichtung, auch Schweinefleisch anzubieten.
  3. Über gesetzlich bewußt normierte Ausnahmen aus religiösen Gründen (s. dazu oben II.) darf man jedenfalls räsonieren. Wenn es in der Sache primär um die Infragestellung gesetzlicher Privilegien für den Islam – oder für alle Religionen – geht, dann sollte man das so sagen. Denn dies kann die immer wieder (im Zusammenhang mit der Menschenwürde) angemahnte „Rechtsgleichheit“ nicht aushöhlen, sondern nur bestärken.
  4. Sogar einzelne gesetzliche Verbote zulasten einer Religion sind nach europäischem Recht diskutabel, wie z.B. das Burka-Verbot in Frankreich und Österreich oder das Minarett-Verbot aufgrund einer Schweizer Volksabstimmung.

Hintergrund: Die liberale Verfassungstheorie verlangt zwar keine „Wirkungsneutralität“ aller Gesetze (man kann es nie allen Gruppen Recht machen), sondern deren säkular-rationale „Begründungsneutralität“ (Stefan Huster).[21] D.h.: Man darf beim „öffentlichen Vernunftgebrauch“ (Jürgen Habermas), etwa im Parlament, für strengere Abtreibungsgesetze plädieren – aber dabei nicht mit der Bibel argumentieren. Man darf – siehe Frankreich und Österreich- die Burka verbieten, wenn sie „die in einer Demokratie erforderliche Kommunikation im Alltag erschwert“ oder zum Schutz von Frauenrechten, aber niemals, um „nicht assimilierte“ Bürger aus dem Lande zu ekeln. Dementsprechend hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) nationale Einschränkungen religiöser Symbole im öffentlichen Raum abgesegnet, soweit es um die Sicherheit und öffentliche Ordnung geht, jedoch betont, dass solche Einschränkungen verhältnismäßig und nicht diskriminierend sein müssen.

Kurz: Alles hängt von der jeweils konkreten, einzelnen gesetzlichen Regelung ab – über die selbstverständlich debattiert werden darf. Das entspricht Artikel 3 III Grundgesetz sowie dem Gebot der religiösen und „ethischen Neutralität des Staates“.[22] Das Gebot untersagt ja gerade die „Privilegierung bestimmter Bekenntnisse“.[23]

  1. Religionsfreiheit

Und doch: Wer Privilegien abbauen will, stößt schnell auf eine „Religionsfreiheit“, die vom Bundesverfassungsgericht zum ´Supergrundrecht´ erhoben wurde.[24] Es berechtigt dazu, die „gesamte Lebensführung“ nach Religionsgeboten auszurichten. Bei Christen ist das in aller Regel kein Problem – schon weil sie keine Andersgläubigen verfolgen und staatliche Gesetze prinzipiell akzeptieren. Doch begünstig wird im Ergebnis der Islam. Diese Rechtsprechung fand im Kopftuchbeschluss von 2015 ihren vorläufigen Höhepunkt: Indem es dem Gesetzgeber den Versuch einer gereralisierenden Gefahrenabwehr „verbietet“, leistet es der Islamisierung Vorschub. Wie das?

Vordergründig sollen zwar alle Religionen gleichberechtigt behandelt werden. Doch während christliche Kreuze an der Wand in Schulen und Gerichtssälen schon seit Jahrzehnten verboten sind, lehnte Karlsruhe ein Kopftuch-Verbot bei Lehrerinnen ab. Denn der Staat dürfe keineswegs islamische Symbole verbieten, wo er christliche (Kreuz um den Hals) noch erlaubt.[25] Dies „verbiete sich“ – auch dem widerstrebenden Gesetzgeber. So hebelt man juristisch jede „christliche Leitkultur“ aus. Hingegen verstärkt es auf muslimische Mädchen den Druck, sich korangetreu zu verhalten. Und ohnehin schon gemobbte „ungläubige“ Schüler sind künftig womöglich auch noch mit Klassenlehrerinnen konfrontiert, die mit Kopftuch „Flagge zeigen“[26] – so tatsächlich aktuell im CDU-regierten Berlin.

Daß das keineswegs juristisch zwingend ist, zeigte eine Entscheidung des Europäischen Gerichthofs für Menschenrechte zum Schulkreuz in italienischen Schulen (2011): „Religionsfreiheit“ im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 9 EMRK) ließe auch ein weniger strenges „Toleranz-Modell“ mit „geringfügiger“ Ungleichbehandlung von Minderheiten-Religionen zu.[27] Doch hiesige politische Parteien werden sich an der Karlsruher Rechtsprechung zu orientieren haben. Außerdem sind – je nach Lokalkolorit – Muslime teilweise längst in der Mehrheit im Vergleich zu Christen und Atheisten.

 Das „ewige“ Sozialstaatsprinzip (Artikel 20 I, 79 III GG)

Sellner und andere weisen zu Recht gegenüber Krahs Modell darauf hin, daß sich viele Familien den Umzug in „bessere“ Stadteile (oder ins Ausland) nicht leisten können – was libertäre Digital-Nomaden weniger stört. Götz Kubitschek warnt deshalb vor dem „Im-Stich-lassen“ von Landsleuten. Schon der Historiker Rolf Peter Sieferle († 2016) hatte dies sorgenvoll vorausgesehen.

Wer übrigens „Sozialtransfers an Einwanderer weitgehend einstellen und so den Anreiz zur Einwanderung abstellen will“, muß bei dieser „einfachen Lösung“ dazusagen, daß dann der Sozialstaat für alle zusammengestrichen werden muß. Das Bundesverfassungsgericht untersagt dem Gesetzgeber ja sogar eine prinzipielle Differrenzierung zwischen rechtmäßigem und illegalem Aufenthalt von Ausländern. Auch hier hat das Gericht Wege versperrt. (Selbst über die „Bezahlkarte“ für Asylbewerber ist das letzte Wort noch nicht gesprochen).

VII. Asylwende vs. EU-Recht

Alle Debattenteilnehmer sind sich einig, daß die paß- und visafreie, obendrein über „sichere Drittstaaten“ erfolgende – also nach nationalem Recht jedenfalls illegale[28] – Massenzuwanderung gestoppt werden muß. Doch wie soll eine Grenzschließung entgegen vorrangigem EU-Recht[29] bewerkstelligt werden ? Der Politologe Prof. Martin Wagener von der Hochschule des Bundes plädiert überzeugend für einen neuen Hightech-„Schutzwall“, der auch ökonomisch problemlos sei, wenn man ihn intelligent errichte.[30] Er schlägt dazu einen Austritt Deutschlands aus dem „völkerrechtlichen Schengenabkommen“ vor – was allerdings aufgrund der Überführung von Schengen ins EU-Recht unzulässig ist: ein Teil-Dexit (Rosinenpickerei) ist in den EU-Verträgen nicht vorgesehen. Vor Klärung dieser Fragen wirkt die Volksbegriff-Debatte mitunter wie ein Streit um des Kaisers Bart. Nach wie vor brennt migrationspolitisch das Dach – zu sehen an der unverändert hohen Zahl an Asyl-Erstanträgen.

VIII. Fazit

  1. Wie aufgezeigt, haben beide – sowohl Krah, als auch Sellner – teilweise Recht, und teilweise übertreiben sie. Ja: Das Leipziger Urteil hat rote Linien aufgezeigt, die von der AfD zu beachten sind und möglicherweise präzisierende Distanzierungen von Sellner erfordern. Aber das Gericht hat weder „Remigration“ in toto, noch einen ethnisch-kulturellen Volksbegriff zum juristischen Tabu erklärt. Arbeit mit dem feinen Kamm bleibt also unerläßlich.
  2. Krah möchte das deutsche Volk vor einer „kulturell problematischen“ ethnischen „Verschmelzung“ schützen. Auch solche Töne wird man in Karlsruhe womoglich (als „Rassismus“ oder dergl.) geißeln.
  3. Das Migrationsproblem im Ganzen löst Krahs Konzept natürlich nicht. Im Gegenteil: „Ein kleines Kalifat plus Bürgergeld“ würde erst Recht zum „Pullfaktor“ werden, punktet Sellner.[31]
  4. Krah scheint das infiltrierende Wesen des Islam nicht zu verstehen und seine sozialpsychologische Gruppendynamik zu unterschätzen.[32]
  5. Zudem sind die Konsequenzen des EU-Asylrechts in der Lesart des EuGH der weitere Elefant im Raum, an dem nicht länger vorbeigeschaut werden darf.

[1] Krah, Interview bei Lukas Steinwandter, 20.05.2024, https://www.corrigenda.online/politik/interview-mit-maximilian-krah-herr-krah-haben-sie-jemals-geld-eines-fremden-staates?

[2] Am 18.06.2025 erläuterte Krah erstmalig seine neue Position systematisch: Krah, Das Volk im multiethnischen Staat, https://sezession.de/70274/das-volk-im-multi-ethnischen-staat; sowie Krahs „15 Thesen“ bei https://www.alexander-wallasch.de/gesellschaft/deutschland-den-ethnien-und-alle-werden-gluecklich-sagt-maximilian-krah; Sellner entgegnet u.a. hier: https://sezession.de/70284/debatte-mit-krah-1-was-bisher-galt

[3] Urteil OVG NRW, 13.05.2024, Az. 5 A 1218/22 (Seite 65). Man beachte allerdings auch den unmittelbar folgenden Satz: „Sie [diese Äußerungen] schließen aber auch nicht aus, daß zur Bewahrung der ´ethnisch-kulturellen Identität gfs. auch diskriminierende Maßnahmen gegenüber deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund herangezogen werden sollen“.

[4] Urteil BVerwG vom 24.06.2025, Az. 6 A 4.24, Pressemitteilung, URL: https://www.bverwg.de/pm/2025/48

[5] Christoph Möllers, Die verfassungsrechtliche Missbilligung eines materialisierten Volksbegriffs als Element des Schutzes der Verfassung, Der Staat, Bd. 62 (2023), S. 181–200.

[6] Dietrich Murswiek, Staatsvolk, Demokratie und Einwanderung im Nationalstaat des Grundgesetzes, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, Jahrgang 66 (2018) /Heft 1, S. 385-429; K. A. Schachtschneider /J. Bauch: Einwanderung oder Souveränität – Deutschland am Scheideweg, GHV 2015

[7] Das Wiedervereinigungsgebot wurde von westdeutscher Seite stets auf die Grundgesetz-Präambel und das völkerrechtliche Selbstbestimmungsrecht gestützt, s. etwa die ´Teso´-Entscheidung des BVerfG (1987).

[8] Zur Bedeutung von Art. 146 GG: A. Heumann, Presse- und Meinungsfreiheit im Lichte von Artikel 146 GG – Achillesferse des „Verfassungsschutzes“, Staats- und wirtschaftspolitische Gesellschaft e.V., 07.08.2024, URL: https://www.swg-mobil.de/2024/08/07/presse-und-meinungsfreiheit-im-lichte-von-artikel-146-gg-achillesferse-des-verfassungsschutzes/

[9] BVerfG vom 23.01.2024 (Az. 2 BvB 1/19).

[10] Jahresbericht 2024 des BVerfG – veröffentlicht im März 2025 -, S. 67. (Differenzierend jedoch das Urteil OVG NRW von Mai 2025, Az. 5 A 1218/22, S. 61/62 – hierzu weiter unten).

[11] M. Krah, Gastbeitrag bei AlexanderWallasch.de a.a.O.

[12] Krah, Interview bei Corrigenda a.a.O.

[13] Interview bei Corrigenda a.a.O.

[14] Krah, 28.05.2025, Sezession.de, /70289/jetzt-krah-antwortet-auf-sellner: „Der Staat darf Respekt vor und Zustimmung zu seinen liberalen Werten einfordern: Achtung der Gesetze, Beherrschen der deutschen Amtssprache, Rücksichtnahme auf die Freiheit anderer – Leitkultur. Aber er darf keine kulturelle Assimilation in die deutsche Mehrheitsgesellschaft fordern und durch Druck und „maßgeschneiderte Gesetze“ erzwingen.“

[15] Vgl. § 1631d mit § 1631 BGB.

[16] Pressemitteilung des BVerwG a.a.O. Schon das OVG Münster (a.a.O.) hatte Sellners Remigrationskonzept implizit verworfen: Es lägen [„in der Gesamtschau“] „hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass nach dem politischen Konzept der [AfD] jedenfalls Flüchtlingen und anderen Zuwanderern, deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund und deutschen und ausländischen Staatsangehörigen islamischen Glaubens die Anerkennung als gleichberechtigte Mitglieder der rechtlich verfassten Gemeinschaft versagt werden soll.“

[17] M. Sellner, Remigration. Ein Vorschlag (Antaios 2024), S. 66.

[18] Karlsruher NPD-Urteil (2017), Leitsatz 9a: „Die Antragsgegnerin strebt nach ihren Zielen und dem Verhalten ihrer Anhänger die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung an. Sie zielt auf eine Ersetzung der bestehenden Verfassungsordnung durch einen an der ethnischen „Volksgemeinschaft“ ausgerichteten autoritären „Nationalstaat“. Dieses politische Konzept missachtet die Menschenwürde aller, die der ethnischen Volksgemeinschaft nicht angehören, und ist mit dem grundgesetzlichen Demokratieprinzip unvereinbar.“

[19] Gastbeitrag G. Vierfuß, https://sezession.de/70275/sellners-remigrationskonzept-ist-verfassungskonform.

[20][20] Sellner verteidigt sein Konzept auf X: „Für den bereits eingebürgerten, aber nicht assimilierten Teil einer Remigrationszielgruppe gebietet sich ein langfristiges, maßvolles Vorgehen: Bei Doppelstaatsbürgerschaften ist unter bestimmten Voraussetzungen ein Verlust der Staatsbürgerschaft möglich. Abgesehen davon sollen Assimilations- und Remigrationsdruck langfristig die Parallelgesellschaft abbauen.“ Genau damit betritt er aber die verfassungsrechtlich tiefgraue Zone.

[21] Grundlegend: Stefan Huster, Die ethische Neutralität des Staates (2002), 2. Aufl. 2017, S. 29/30 und 200 ff. Konsequent in diesem Geiste die ´Richterin mit Kopftuch´ fordernd: Aqilah Sandhu, https://verfassungsblog.de/der-anschein-der-neutralitaet-als-schuetzenswertes-verfassungsgut/. Auch K. A. Schachtschneider fordert die weltanschauliche Neutralität des Staates, u.a. wegen Art. 140 GG iVm. 136 I WRV (Die nationale Option, 2017), folgert allerdings gerade hieraus für den Islam verfassungsrechtliche „Grenzen der Religionsfreiheit“, v.a. bei der Religionsausübung i.S.v. Art. 4 Absatz II GG.

[22] St. Huster a.a.O.

[23] So schon 1965 BVerfGE 19, 206 [216]: „Das Grundgesetz legt durch Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3, Art. 33 Abs. 3 GG sowie durch Art. 136 Abs. 1 und 4 und Art. 137 Abs. 1 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG dem Staat als Heimstatt aller Staatsbürger ohne Ansehen der Person weltanschaulich-religiöse Neutralität auf. Es (…) untersagt auch die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse.“ Fortgeführt in BVerfGE 24, 236 [246]; 30, 415 [422], 32, 98 [106], 23, 33 [28]; 41, 29 [49, 50, 51,]; 41, 65 [84]; 52, 223 [240 f., 249].

[24] Kritisch: Karl Albrecht Schachtschneider, Grenzen der Religionsfreiheit am Beispiel des Islam, Duncker & Humblot, 2010; auch Ulrich Vosgerau, Freiheit des Glaubens und Systematik des Grundgesetzes, Duncker & Humblot, 2007.

[25] Hingegen akzeptierte das BVerfG 2020 ein Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen (Arg.: Anders als etwa in der Schule trete der Staat dem Bürger in der Justiz klassisch-hoheitlich gegenüber).

[26] Zum Ganzen: A. Heumann, Religionsfreiheit vor Gericht. Furchtbare Juristen. Das Bundesverfassungsgericht und sein Supergrundrecht der Religionsfreiheit, Junge Freiheit, 17.04.2015, URL: http://heumanns-brille.de/wp-content/uploads/2016/10/2015-04-17-JF-17-15-Seite-18-Rubrik-Forum-1.pdf

[27] EGMR vom 18.03.2011 (zit. nach Huster a.a.O., Einleitung, Seite XXXIX).

[28] §§ 3 – 15 Aufenthaltsgesetz („Ausländer dürfen nur in das Bundesgebiet einreisen oder sich darin aufhalten, wenn sie einen anerkannten und gültigen Pass oder Passersatz besitzen …“) und § 18 Asylgesetz.

[29] Das „Vorrang“-Problem betrifft vor allem die „Dublin-III“- sowie die „Schengen“-Verordnung der EU.

[30] Martin Wagener, Deutschlands unsichere Grenze. Plädoyer für einen neuen Schutzwall, München 2018.
Wageners Lehrtätigkeit am Zentrum für Nachrichtendienstliche Aus- und Fortbildung endete 2021 mit der Erteilung eines Betretungsverbotes, nachdem der Verfassungsschutz Passagen seines Buches „Kulturkampf um das Volk: Der Verfassungsschutz und die nationale Identität der Deutschen“ als extremistisch bewertet hatte (Wikipedia). Das „Schutzwall“-Buch wurde hingegen nicht als „Dienstvergehen“ aufgefaßt.

[31] Sellner, Sezession.de /70285/debatte-mit-krah-2-dreifacher-konsensbruch

[32] Immer noch instruktiv: Manfred Kleine-Hartlage, Das Dschihad-System. Wie der Islam funktioniert (Resch-Verlag, 2010).

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