Presse- und Meinungsfreiheit im Lichte von Artikel 146 GG – Achillesferse des „Verfassungsschutzes“

Veröffentlicht bei der Staats- und wirtschaftspolitischen Gesellschaft e.V. unter https://www.swg-mobil.de/2024/08/07/presse-und-meinungsfreiheit-im-lichte-von-artikel-146-gg-achillesferse-des-verfassungsschutzes/

Teil 1: „Wollt ihr die totale Demokratie?“

Zur Zeit ist viel von wehrhafter Demokratie die Rede – „auch unterhalb der Strafbarkeitsschwelle.“ Presse- und Meinungsfreiheit sollen zwar „für freiheitliche Demokratien schlechthin konstituierend“[1] sein, jedoch „kein Freibrief für Verfassungsfeinde.“[2] Offenbar gibt es eine Grauzone des Grundgesetzes, in der man friedlich und legal im Rahmen aller zivil- und strafrechtlichen Gesetze publiziert und die Grenzen der Meinungsfreiheit beachtet, aber trotzdem vom Inlandsgeheimdienst als „extremistischer“ Verfassungsfeind verdächtigt, überwacht, angeprangert – und schließlich vom Innenministerium zerschlagen werden kann – weil man sich gegen die „verfassungsmäßige Ordnung richtet“ (Artikel 9 GG).[3]

Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang erläutert anhand radikaler „Klimaschützer“ der „Letzten Generation“: Nicht etwa Vereinigungen, die Straftaten zum Zweck der Durchsetzung politischer Forderungen begehen – etwa Nötigungen (u.a. Flughafenblockaden[4]) oder Gewalt (und sei es „nur gegen Sachen“) – , seien Verfassungsfeinde. Nein, „das Begehen von Straftaten macht diese Gruppierung nicht extremistisch.“ „Extremistisch“ seien vielmehr die, die „den Staat, die Gesellschaft, die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Frage stellen“.[5] [6] Nicht Taten, sondern kritische Gedanken („Infragestellen“) – genauer: eine „kämpferisch-aggressive“ „Haltung“ gegenüber der FGDO – markieren die rote Linie.

Andererseits wurden bei der Vorstellung des VS-Berichts 2023 Forderungen nach einem islamischen Scharia-„Kalifat“ von Haldenwang als „denkbare Staatsform“ („wie Kommunismus, Sozialismus oder Monarchie“) kommentiert; das sei weder strafbar, noch müßte es per se Verbote nach sich ziehen.[7]

Alle stehen vor einem nahezu undurchdringlichen Begriffs-Dschungel. Was darf man (noch) sagen, schreiben und tun? Und was hat das alles mit Artikel 146 des Grundgesetzes zu tun? 


„Geben Sie Gedankenfreiheit, Frau Faeser!“[8]

 „Wer die Regierung kritisiert, muß damit rechnen, im Morgengrauen verhaftet zu werden“: Was der Chefredakteur des linksliberalen „Verfassungsblogs“, Maximilian Steinbeis, noch kurz zuvor als absurde Phantasie von AfD-Politikern vorführte,  wurde kurz darauf für seinen Kollegen Jürgen Elsässer kafkaeske Realität: Auf freiem Fuß zwar noch, aber er durfte sich im Morgenmantel anschauen, wie ein 40-köpfiges vermummtes Sondereinsatzkommando seine Zeitschrift, sein Lebenswerk, aufgrund bloßer Gedankenverbrechen zerstört. Betriebsvermögen im Wert von ½ Million Euro wurde „beschlagnahmt“, teilweise auch privates Vermögen (wie etwa eine wertvolle Karl-May-Sammlung) – von quasiräuberischen Wohnungsdurchsuchungen und Vermögensbeschlagnahmen bei „Vereinsmitgliedern“ ganz zu schweigen. Wurde „der staatliche Apparat in Fällen, in denen nicht einmal eine Straftat vorliegt, mit Vollmachten ausgestattet, deren Folgen weit über jene hinausgehen, die eine Straftat auslöst?“ fragt die Journalistin Dagmar Henn.[9] Viele Medienunternehmen – ob links, ob rechts – müssen nun befürchten, „die Nächsten“ zu sein, die dem Furror eines totalen „Demokratieschutzes“ zum Opfer fallen.

 Begründung des Compact-Verbots

Das Verbot des Magazins wird in der Pressemitteilung des BMI damit begründet, daß es ein „völkisch-nationalistisches Gesellschaftskonzept“ propagiere, das „ethnisch Fremde“ aus dem Staatsvolk ausschließen wolle, was deren Menschenwürde missachte. Neben antisemitischen, rassistischen und minderheitsfeindlichen beklagt das Ministerium „geschichtsrevisionistische“ und „verschwörungstheoretische“ Inhalte.[10] In der Verbotsverfügung wird die gesamte, rechtsstaatlicher Bestimmtheit kaum genügende Phraseologie, die bereits in VS-Gutachten zur AfD aufgefahren wurde, anhand von Compact-Zitaten näher entfaltet. In der Sache geht es unverändert um „überzogene“ Kritik an einer desaströsen Asyl- und Zuwanderungspolitik und neuerdings auch um bestimmte außenpolitische Positionen zum Ukraine- oder Gazakrieg (die mittlerweile als „Volksverhetzung“ bestraft werden können, vgl. den neuen § 130 Abs. 5 StGB). Man schlägt das Compact-Magazin, meint aber die AfD.

Juristische Überlegungen zum Compact-Verbot

Während sich liberalkonservative und rechte Juristen einig sind, daß das Verbot der Compact-Magazin GmbH – schon weil es sich um ein Medienunternehmen handelt -, „eindeutig“, nämlich schon formal verfassungswidrig sei, widersprechen dem linke Juristen. Niemand geht bisher inhaltlich auf die Verbotsverfügung selbst und die von ihr aufgeworfenen, materialen verfassungsrechtlichen Probleme ein. Bislang sind sowohl die pro, als auch die contra Verbot vorgetragenen Argumente noch dünn. Als Rechtsanwalt und Leser des Magazins erlaube ich mir, etwas dazu beizutragen.

  1. Hat die Meinungsfreiheit „Grenzen“? Natürlich! Jura-Erstsemester lernen, daß Meinungs- und Pressefreiheit „ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre“ finden (Artikel 5 II GG).

„Allgemein“ sind alle Gesetze, die sich nicht gegen eine bestimmte Meinung als solche richten, also politisch „neutral“ sind. Nach § 17 Vereinsgesetz können auch Presseunternehmen und Kapitalgesellschaften als „Wirtschaftsvereinigungen“ nach Vereinsrecht verboten werden, „wenn sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten“. Das dürfte ein „allgemeines“ Gesetz im Sinne von Artikel 5 GG sein.[11] Weil Bestrebungen gegen die verfassungsmäßige Ordnung prinzipiell aus allen politischen Richtungen kommen können: von links, rechts oder islamistisch etc. Hier werden also – zumindest prima facie – nicht etwa nur nationalkonservative Meinungen verboten. Daß die Norm gegen die jeweilige Opposition instrumentalisiert werden kann, steht auf einem anderen Blatt.

  1. „Allgemeine Gesetze“ müssen ihrerseits verfassungs-gemäß sein. § 17 Vereinsgesetz könnte verfassungswidrig sein wegen fehlender Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Der Bund hat die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit für das „Vereinsrecht“ (Artikel 74 I Nr.3). Also kommt es darauf an, ob der Begriff „Verein“ im Sinne des Grundgesetzes auch „Wirtschaftsvereinigungen“ umfaßt. Nach herrschender juristischer Auffassung ist das der Fall: „Vereinigung“ im Sinne von Artikel 9 GG ist jeder – auch loser – „Zusammenschluß“ mehrerer natürlicher oder juristischer Personen „zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks“, wobei die Art des Zwecks (ideell oder wirtschaftlich) keine Rolle spielt.[12] Nichts anderes steht seit 1964 im Vereinsgesetz (§§ 2, 3, 17). Ein „Verein“ im Sinne des Grundgesetzes setzt eben weder Satzung noch förmliche Mitgliederversammlungen voraus. Nach herrschender Lesart fällt tatsächlich schon jede Zeitungsredaktion darunter.[13] [14]Die – spezielleren – Landespressegesetze würden nur dann eine „Anwendung des (Bundes-)Vereinsgesetz ausschließen, wenn das Verbot unmittelbar auf ein Medienprodukt zielte“ (so Rechtsprofessorin Katrin Groh [15]). Paradoxerweise hat die Innenministerin gerade dadurch ´alles richtig´ gemacht, daß sie nicht die Zeitschrift, sondern gleich den dahinter stehenden Personenzusammenschluß („rechtsextremes Netzwerk“) verboten, also die große statt die kleine Taste gedrückt hat!
Nachträgliche Anmerkung: Mittlerweile hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner vorläufigen Eil-Entscheidung vom 14.08.2024 zur causa "Compact-Magazin" die grundsätzliche Anwendbarkeit des Vereinsrechts Auf Presse- und Medienunternehmen bestätigt ! 
  1. Immerhin sind „allgemeine Gesetze“ nach der liberalen Wechselwirkungstheorie des Bundesverfassungsgerichts mit Rücksicht auf die Meinungs- und Pressefreiheit restriktiv auszulegen.

Beispiel: Selbst eine strafrechtliche Verurteilung wegen Verharmlosung des Holocausts (§ 130 III 3. Alt. StGB)[16] hob das Bundesverfassungsgericht 2018 mit folgender Begründung auf:

„[Das Grundgesetz] setzt darauf, dass solchen Äußerungen, die für eine demokratische Öffentlichkeit schwer erträglich sein können, grundsätzlich nicht durch Verbote, sondern in der öffentlichen Auseinandersetzung entgegengetreten wird. Die Meinungsfreiheit findet erst dann ihre Grenzen im Strafrecht, wenn die Äußerungen in einen unfriedlichen Charakter umschlagen. (…) Die mögliche Konfrontation mit beunruhigenden Meinungen, auch wenn sie in ihrer gedanklichen Konsequenz gefährlich und selbst wenn sie auf eine prinzipielle Umwälzung der geltenden Ordnung gerichtet sind, gehört zum freiheitlichen Staat. Der Schutz vor einer ‚Vergiftung des geistigen Klimas‘ ist ebenso wenig ein Eingriffsgrund wie der Schutz der Bevölkerung vor einer Kränkung ihres Rechtsbewusstseins durch totalitäre Ideologien oder eine offenkundig falsche Interpretation der Geschichte.“[17]

Immer schon drei verschiedene Paar Schuhe

Alles klar für Elsässers angeblich „rechtsextremes“ Compact-Magazin? Nein. Denn die Passage dreht sich um die Grenzen der Strafbarkeit (die nur „grundsätzlich“ markiert wurden – was immer Raum für Ausnahmen läßt), nicht jedoch um verfassungsschutzrelevante „Bestrebungen“ gegen die FDGO. Laut Artikel 9 GG sind nicht nur Vereinigungen, die „den Strafgesetzen zuwiderlaufen“ verboten, sondern auch solche, die sich „gegen die verfassungsmäßige Ordnung“ oder „gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten“.[18]

Das Bundesverfassungsgericht übersetzt „verfassungsmäßige Ordnung“ mit „elementaren Grundsätzen der Verfassung“ und „freiheitlicher demokratischer Grundordnung“ (FGDO), während das „Ausgerichtet sein“ eine „kämpferisch-aggressive Haltung“ gegenüber der FDGO voraussetzt. Auf dieser Grundlage segnete es ein Verbot des ebenfalls als rechtsextrem betrachteten HNG e.V. (der „rechtsradikale Strafgefangene in ihrer Haltung stärkte, wesentliche Bestandteile der verfassungsmäßigen Ordnung zu bekämpfen“) ab. Immerhin müssen bei Eingriffen in die Vereinigungsfreiheit auch „sonstige Grundrechte (…) beachtet werden“[19] [20] – wie eben insbesondere Meinungs- und Pressefreiheit.

Auch Medienunternehmen wurden bereits verboten.

Diese sind zwar mit dem Verbot des – gesetzeskonformen – Compact-Magazins schlecht vergleichbar, da deren Tätigkeit gegen Strafgesetze verstieß: Etwa das linksextrem-gewaltaffine Portal Linksunten.indymedia und vorher schon die türkische Yeni Akit GmbH wegen antisemitischer Propaganda sowie die kurdische E. Xani Presse- und Verlags-GmbH, die eine Tageszeitung der terroraffinen PKK verlegte.[21] Dennoch ist diese Rechtsprechung auch für Fälle bloßer Ausgerichtetheit gegen die FDGO aussagekräftig:[22]

Einerseits muss die Pressefreiheit zurücktreten, wenn eine Vereinigung „ausschließlich“ „verbotswidrigen“ Vereins-zwecken dient.[23] Andererseits ist ein Verbot unzulässig, „wenn es nur das Mittel wäre, Meinungsäußerungen oder Publikationen zu untersagen, die für sich den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG genießen“.[24] D.h.: Das bloße Publizieren extremistischer Meinungen reicht noch nicht für Verbote, wohl aber eine sich gegen die FDGO richtende „kämpferisch-aggressive Haltung“.[25] Dieses Begriffsungetüm setzt wiederum mehr voraus als „Verbalradikalismus“,  aber weniger als Gewaltbejahung,[26] da es „präventiven Verfassungsschutz“ ermöglichen soll.[27] Es reicht, wenn „zum Kampf gegen [die FDGO] aufgerufen wird“ (unbestimmt!).[28] Im Fall Compact müßte eigentlich ausschlaggebend sein, daß das Magazin nicht zum (friedlichen) Kampf gegen die FDGO bläst, sondern gegen die Regierung – was ein himmelweiter Unterschied ist. Eigentlich!

Die Dreifaltigkeit der Freiheitlichen demokratischen Grundordnung (FDGO)

Das Schlachtfeld, auf dem der Fall Compact – als Testballon für den Fall AfD – letztlich juristisch entschieden wird, ist nach alledem der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (FDGO). Er ist von „bedauerlicher Unschärfe“ und schafft “Verwirrung“, erkennt die Bundeszentrale für politische Bildung.[29]

Freiheitlich ist eine Ordnung, die „unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes [sic!] nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt“, urteilte das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1952. Als Minimum galten Menschenrechte, Volkssouveränität, Gewaltenteilung, Gesetzesbindung der Exekutive, Unabhängigkeit der Gerichte sowie die Chancengleichheit der politischen Parteien.[30] Nach der NPD-Verbotsentscheidung (2017) umfaßt die FDGO nur noch die „für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrliche“ Grundprinzipien:[31] Unverändert[32] steht die Menschenwürde an der Spitze der Werthierarchie und als „konstitutiver Bestandteil“ das „Demokratieprinzip“,[33] während das Rechtsstaatsprinzip die Dreifaltigkeit vervollständigt.[34]

Wichtig zu sehen ist, daß die als „streitbare Demokratie“ konzipierte FDGO selbst das elementare Grundrecht auf Gleichbehandlung des Artikel 3 GG teilweise aushebelt: „Niemand darf wegen (…) seiner (…) politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden“, heißt es dort. Dem Grundgesetz wird zwar von liberaler Seite nachgesagt, es sei „religiös und ethnisch blind“ – sogar „ethisch blind“ (!) – aber politisch ist es – trotz Artikel 3 – keineswegs blind. Diese Dichotomie ist bis heute wenig beleuchtet.

Den Teufel des „Extremismus“ mit dem Beelzebub diktatorischer Willkür austreiben?

Das eingangs vorgestellte Statement des VS-Präsidenten („auch unterhalb der Strafbarkeit“ und „Meinungsfreiheit kein Freibrief“) findet also durchaus eine Stütze im Grundgesetz und in der Rechtsprechung – was nicht ausschließt, daß etwas faul im Staate ist: Strafbarkeit, Meinungsfreiheit und Verfassungsfeindlichkeit waren immer schon drei verschiedene Paar Schuhe. 1949 wollte man aufgrund der dunklen zwölf Jahre auch solche politischen Kräfte ausschalten, die oberste Grundwerte „mit legalen Mitteln bekämpfen“ (BVerfG 1952) [35] – also insbesondere gesetzestreu und gewaltlos die Macht übernehmen wollen, um anschließend die Demokratie zu beseitigen.

75 Jahre Grundgesetz: Wer „Grundrechte erwürgt“ …

Nur so – historisch – ist erklärlich, daß man gemäß Artikel 18 GG die Presse- und Meinungsfreiheit sogar ganz „verwirken“ kann, wenn man sie im Kampf gegen die FDGO „mißbraucht“.[36] Heribert Prantl verkündete bei „Lanz“ anläßlich „75 Jahre Grundgesetz“, händeringend, man müsse „einen Antrag nach Artikel 18 gegen Höcke & Co.“ stellen – wo die doch im Parlament „hetzen“, „Grundrechte erwürgen“, und die Menschenwürde vor ihnen zu schützen sei[37] (ein typisches Argumentationsmuster). Oder auch: „Man muß den Schneeball zertreten, bevor die Lawine entsteht!“. Würde ein „Rechter“ oder Christ den gleichen Satz gegen die „Islamisierung des Abendlandes“ vorbringen, wäre die Aufregung groß.

Endgame um die Deutschen

Hier ist nicht der Raum für eine detaillierte Prognose des Prozeßausgangs (im Hauptsacheverfahren). Allein die unter den Topos FDGO fallenden komplexen verfassungsrechtlichen Fragen zur Menschenwürde, zur (postnationalen?) Demokratie und zum „ethnischen Volksbegriff“ bieten Stoff für Dissertationen. Fest steht jedenfalls: Ohne einen ethnischen Volksbegriff wäre die deutsche Wiedervereinigung niemals Staatsräson geworden – es hätte sie nicht gegeben. Während der deutschen Teilung nach 1945 gab es zwei deutsche „Staatsvölker“ (BRD und DDR), aber nur ein deutsches Volk „im ethnischen Sinne“. Dieses hat nach der ursprünglichen, unverfälschten[38] GG-Präambel nicht nur seine „staatliche“, sondern seine „nationale Einheit“ zu „bewahren“[39] – sicher auch über die Wiedervereinigung hinaus!

Klar ist aber ebenso: Entschieden werden die Prozeße um Compact und die AfD nach politischer Opportunität – notfalls nach einem „Kanzlerdinner“ wie vor der Entscheidung zur Corona-„Bundesnotbremse“.[40] Das ändert aber nichts an der patriotischen Pflicht von Juristen, mit ihren Argumenten den Richtern ihr – hoffentlich nicht zersetzendes – Werk beim juristischen Finale um die Zukunft der Deutschen so schwer wie möglich zu machen.

 Teil 2: Der „vergessene“ Artikel 146 GG

Ganz am Ende des Grundgesetzes fristet ein Artikel ein Schattendasein, der auf ein ungelöstes Grundproblem der Verfassung hinweist, aber wenig bekannt ist und nie in Talkshows oder Feuilletons thematisiert wird.[41] Er hat folgenden Wortlaut: „Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist“ (Artikel 146 GG).[42]

Das hat nichts mit „Reichsbürger“-Phantasien zu tun, die die BRD nicht als Staat anerkennen. Hintergrund ist vielmehr: Weil unser Grundgesetz anno 1949 nicht „in freier Entscheidung“ des – seinerzeit unter „Besatzungsrecht“ der Alliierten stehenden – deutschen Volkes beschlossen wurde, eröffnet Artikel 146 die Option, dies in Freiheit nachzuholen. Zwar erlangte Deutschland (erst 1990 !) durch den „2+4-Vertrag“ seine „volle staatliche Souveränität“ zurück. Bei der Wiedervereinigung unterblieb jedoch wegen der „sich überschlagenden politischen Ereignisse“ eine Debatte über eine neue Verfassung.[43] Indes wurde im Einigungsvertrag (Artikel 5) „den gesetzgebenden Körperschaften des vereinten Deutschlands“ ausdrücklich empfohlen, „sich innerhalb von zwei Jahren (…), insbesondere (…) mit der Frage der Anwendung des Artikels 146 des Grundgesetzes und (…) einer Volksabstimmung“ zu befassen.

Anything goes

Würde ein neuer Verfassungstext mehrheitlich vom Staatsvolk angenommen, verlöre das Grundgesetz „seine Gültigkeit“. Die zuvor notwendigen öffentlichen Debatten hätten allenfalls zwingende völkerrechtliche, vielleicht auch naturrechtliche Grenzen („in Verantwortung vor Gott und den Menschen“) zu beachten, müßten aber keineswegs mehr auf dem Boden des Grundgesetzes stattfinden, sondern könnten sich selbst über die „Ewigkeitsgarantie“ (Artikel 79) und die FDGO hinwegsetzen. Ohne Weiteres legitim wäre zum Beispiel die Orientierung an einer ausländischen „demokratischen“ (statt „autoritären“) Verfassungskonzeption: von „fortschrittlichen“ Konzeptionen nach Vorbild der USA („Vereinigte Staaten von Europa“) bis zu „volklichen“ und religiös-fundierten Demokratien wie in Israel oder christlich-konservativen wie in Ungarn. Ebenso könnte man für ein stärker direktdemokratisches System wie der Schweiz votieren, bei dem das Volk bei essentiellen Zukunftsfragen ein Mitspracherecht durch Volksreferenden gewährt wird (z.B. führte eine Volksabstimmung dazu, daß auf islamischen Moscheen keine Minarette mehr gebaut werden dürfen).

Das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen

Artikel 146 ist Ausfluß des völkerrechtlichen Selbst-bestimmungsrechts. Dieses gilt nach der UN-Charta und der globalen Menschenrechtskonvention („Zivilpakt“) nicht nur für ehemalige Kolonien der „Dritten Welt“, sondern für „alle Völker“, also auch für die europäischen und sogar für das („gefährliche“) deutsche Volk. Aber das Selbstbestimmungsrecht scheint bei Deutschlands politischer Klasse in Vergessenheit zu geraten.

Zwar gedachten im Zuge der Eurokrise plötzlich hochrangige Politiker wie Wolfgang Schäuble (Stichwort „Banken-Union“) des Artikels 146. Aber ausschließlich, um das Tor zu einem europäischen Bundesstaat zu öffen (wie Horst Dreier resümiert). Obwohl es gerade hier nicht um ein Mehr, sondern um ein deutliches Weniger an Selbstbestimmung der Deutschen geht. Als ob das Thema Artikel 146 mit „Europa“-Utopien schon erschöpft wäre!

Was hat das mit Meinungs- und Pressefreiheit zu tun?

Hier soll keineswegs propagiert werden, daß das Glück der Deutschen von einer neuen Verfassung abhänge – zumal niemand abschätzen kann, was dabei herauskäme. Aber Artikel 146 müßte bei der Interpretation der Grundrechte berücksichtigt werden (va. Presse-, Meinungs-, Vereinigungsfreiheit und Chancengleichheit der Parteien) – gerade jetzt, nach vollzogener Wiedervereinigung! Warum?

Artikel 146 GG zeigt, daß nichtmals Forderungen nach einer friedlichen Ersetzung des Grundgesetzes verboten sind. Sie können nicht gleichzeitig „verfassungsfeindliches“ Gesinnungsunrecht sein. Es gibt ja auch entsprechende „Initiativen“ und sie werden keineswegs vom Verfassungsschutz verfolgt. Bloßen „Thinktanks“ kann – anders als Parteien oder Vereinen – keine „kämpferisch-aggressive Haltung“ unterstellt werden. Jedoch: Wie könnte das deutsche Volk jemals selbstbestimmt „in freier Entscheidung“ eine neue Verfassung beschließen, wenn schon jede „kämpferisch-aggressive“ Kritik an neumodischen, antinationalen Um-Interpretationen des Grundgesetzes (entwickelt von einer neuen Generation von Staats- und „Europarechtlern“) mit „Verfassungsschutz-berichten“ oder gar Verboten sanktioniert wird?

Erkenntnisse aus dem KPD-Verbotsverfahren

Schon im KPD-Verbotsverfahren[44] (1952 – 1956) war sich das Bundesverfassungsgericht dieses Dilemmas wohlbewußt. In den Worten des Urteils-Kommentators Thilo Rensmann: „Das Paradoxon der Sicherung der Freiheit durch Verkürzung der Freiheit legitimierte sich nicht als tradierte verfassungsrechtliche Weisheit. Ein Parteiverbot erschien prima facie als mit der Idee der freiheitlichen Demokratie, die auf die Freiheit der politischen Willensbildung setzt, unvereinbar“.[45] Das gilt erst recht für Verbote von Vereinen, die bloß die Verfassungswirklichkeit harsch kritisieren, solange sie keinen gewaltsamen Umsturz predigen oder zu Straftaten aufstacheln. Denn nur Parteien greifen aktiv nach demokratisch legitimierter Macht.

Bedeutung des Wiedervereinigungsgebots

Artikel 146 sieht mit der Ablösung des Grundgesetzes auch die „Ablösung der grundgesetzlichen Parteiverbotskonzeption vor. Der Jurist Josef Schüßlburner begründet dies damit, daß das Bundesverfassungsgericht seinerzeit der verbotenen KPD in Aussicht gestellt hatte, „daß sie für den Fall der deutschen Wiedervereinigung und der sich dabei nach der ursprünglichen Konzeption des Artikels 146 GG anschließenden freien gesamtdeutschen Verfassungsschöpfung (…) rechtzeitig wieder zugelassen werden würde (…). Damit hat das Bundesverfassungsgericht anerkannt, daß seine Parteiverbotskonzeption (…) nicht mit der Freiheit des Artikels 146 GG in Einklang gebracht werden kann!“[46]

Tatsächlich: Die Richter befürworteten sogar den „Erlaß eines Wahlgesetzes, das allen politischen Parteien die Teilnahme an gesamtdeutschen Wahlen ermöglicht, wie es der Wahlgesetzentwurf des Deutschen Bundestages vom 6. Februar 1952 vorsieht“! (S. 132 des Urteils). Gerade um des Wiedervereinigungsgebots willen müsse man Einrichtungen der streitbaren Demokratie – wie etwa Parteiverbote -, die eine solche „freie Entscheidung“ [des Volkes] überhaupt „erst ermöglichen“, „unter allen Umständen aufrechterhalten“ (S. 126)[47] – bis zur Wiedervereinigung. Die Logik dahinter: Würde man totalitären Parteien von links oder rechts eine vorherige Machtübernahme ermöglichen, könnte ja auch der Artikel 146, der einen friedlich-„evolutionären“ Verfassungswechsel (statt blutiger Revolution) ermöglichen soll, beseitigt werden. Mit der Wiedervereinigung wäre dann – jedenfalls im Fall der internationalistisch ausgerichteten KPD –  Essig!

Die Lösung der fundamentalen Paradoxie des Grundgesetzes wurde also in die Zeit der Wiedervereinigung oder danach  verschoben. Diese Zeit ist jetzt.

Jedoch: Im NPD-Verbotsverfahren (2017) mogelte sich das Gericht an dem alten Problem vorbei und wiederholte zu Artikel 146 nur kurz die Passagen aus dem KPD-Urteil: „Die durch Art. 146 GG eröffnete Möglichkeit einer originären Verfassungsneuschöpfung steht einer Anwendbarkeit von Art. 21 GG [Parteiverbote] nicht entgegen.“[48] „Bis zum Inkrafttreten einer (…) neuen Verfassung“ müsse das Grundgesetz „in vollem Umfang in Kraft“ bleiben.[49] Dieses Urteil fußt auf einem Mißverständnis des KPD-Urteils; man sollte ihm jetzt – nach erfolgter Wiedervereinigung – entgegentreten. Zu Ende gedacht verlangt die vom Grundgesetz mit Artikel 146 zur Verfügung gestellte Option nun ein freiheitlicheres Klima.

Lissabon-Urteil weist einen Ausweg aus dem Labyrinth

In seiner Entscheidung zum EU-Vertrag von Lissabon (2009) hat das Bundesverfassungsgericht allen Unkenrufen in der deutschen Staatsrechtslehre, daß die Norm nach der nunmehr erfolgten Wiedervereinigung „obsolet“ geworden oder sogar aufzuheben sei, eine klare Absage erteilt. Das Urteil enthält sogar ein obiter dictum, demzufolge der Artikel 146 qua Verfassungsbeschwerde „in Verbindung mit Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten in Karlsruhe “gerügt werden“ könne.[50] Zwar ging es hier um die speziellere Frage, ob die Deutschen ein grundrechtsgleiches „Recht auf Demokratie“ haben – und der EU-Vertrag dagegen verstößt. Aber offensichtlich kann Artikel 146 kann auch in Verbindung mit der Meinungs- oder Pressefreiheit geltend gemacht werden. Diesen in Karlsruhe selbstgesponnenen Ariadnefaden sollten die Anwälte von Compact wieder aufgreifen. Um endlich einer – mit Worten des verstorbenen Göttinger Rechtsprofessors Ralf Dreier – „restriktiven Interpretation des Streitbarkeitsprinzips“[51] zum Durchbruch zu verhelfen. Denn „Freiheit ist immer nur Freiheit des Andersdenkenden“ (Rosa Luxemburg).
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ENDNOTEN:

[1] Wenzel – Burkhardt/Peifer, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, Handbuch des Äußerungsrechts, S. 20, Rz. 15 (6. Aufl. 2018).

[2] Thomas Haldenwang, FAZ.de, 01.04.2024, thomas-haldenwang-meinungsfreiheit-ist-kein-freibrief-fuer-verfassungsfeinde-19623960.html

[3] Von allen „Vereinigungen“ besitzen einzig Parteien das „Privileg“, nicht handstreichartig von Frau Faeser, sondern ausschließlich vom Bundesverfassungsgericht verboten zu werden (Artikel 21 GG).

[4] „Seit dem Sommer 2024 sind die Klima-Provokateure zurück und blockieren deutsche Flughäfen. Der deutschen Volkswirtschaft entstehen dadurch Schäden im Millionenbereich“ (https://www.signal-online.de/2024/07/30/klima/)

[5] Cicero.de, 18.11.2022, /verfassungsschutz-letzte-generation-klima-haldenwang-demokratie-extremismus

[6] Haldenwang auf dem Demokratie-Forum Hambacher Schloss, Verfassungsschutz: „Die Letzte Generation ist jetzt tatsächlich so eine spezielle Gruppierung, die sagen, wir müssen durch spezielle Aktionen auf uns aufmerksam machen. Und das, was sie betreiben, das sind tatsächlich auch Straftaten. Das kann man nicht wegdiskutieren. Aber das Begehen von Straftaten macht diese Gruppierung jetzt nicht extremistisch.“ „Klimaaktivisten sind keine Extremisten“, https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/demokratie-forum-verfassungsschutz-letzte-generation-keine-extremisten-100.html (16.11.2022). Was Haldenwang hingegen von „speziellen Aktionen“ der Identitären Bewegung (IB) hält, blieb ungefragt.

[7] Josef Kraus, TichysEinblick.de, 19.06.2024, meinungen/praesentation-verfassungsschutzbericht-2023/

[8] Bitte des Marquis von Posa an König Philipp II. von Spanien in Schillers Don Carlos.

[9] Dagmar Henn, RTNews.de, 08.04.2024.

[10] Pressemitteilung des BMI.bund.de, 16.07.2024.

[11] So zu Recht: Roderich A. H. Blümel, Freiburger Standard, 20.07.2024, URL: https://freiburger-standard.de/2024/07/20/das-compact-verbot-wird-bestand-haben-ueber-legalitaet-und-legitimitaet-der-repression/

[12] Für alle: Jarass/Pieroth, GG, Kommentar, Art. 9, Rz. 3 (Beck-Verlag, 13. Aufl. 2014).

[13] Laut Sandra Lukosek, die zum Recht von Vereinsverboten promovierte, reiht sich das Compact-Verbot in „eine seit Jahrzehnten bestehende Verbotspraxis ein“. (22.07.2024,  https://verfassungsblog.de/warum-das-compact-verbot-auf-grundlage-des-vereinsrechts-ergehen-konnte/). Ähnlich argumentiert die Rechtsprofessorin Kathrin Groh, die Vereinsverbote als „wichtigen Bestandteil der wehrhaften Demokratie“ betrachtet. Lediglich solle man wegen des „demokratiekonstituierenden Charakters von Medien“ – wie bei Verboten von Religionsgesellschaften – eine höhere Darlegungslast vorsehen. (22.07.2024, https://verfassungsblog.de/vereinsverbote-und-wehrhafte-demokratie/)

[14] Wer dem Bund die Gesetzgebungskompetenz abspricht, kann eine Richtervorlage zum Bundesverfassungsgericht nach Artikel 100 GG beantragen.

[15] Katrin Groh a.a.O.

[16] Der Straftatbestand der Billigung/Verherrlichung des nationalsozialistischen Regimes (§ 130 IV StGB) ist zwar laut BVerfG kein „allgemeines Gesetz“, sondern ein nur ausnahmsweise als verfassungsgemäß durchgewunkenes „Sondergesetz“ (BVerfGE 124, 300 vom 04.11.2009 – ´Wunsiedel´). Nichts anderes dürfte für die Verharmlosung/Relativierung des Holocausts (§ 130 III StGB) gelten. Aber selbst hier gilt die liberale Wechselwirkungstheorie, wie der BVerfG-Beschluss vom 22.06.2018 (1 BvR 2083/15) zeigt.

[17] BVerfG, Beschluss vom 22.06.2018, 1 BvR 2083/15, Rz 29/30. Die Pressemitteilung erklärt: „Eine Verharmlosung des Nationalsozialismus als Ideologie oder eine anstößige Geschichtsinterpretation dieser Zeit allein begründen eine Strafbarkeit nicht.“

[18] Daß Art. 9 II GG drei unterschiedlich zu gewichtende Fallkategorien in nur einem Atemzug nennt, ist historisch erklärlich, wirft aber verfassungsrechtliche Probleme auf.

[19] BVerfGE 149, 160 v. 13.07.2018, Leitsatz 3 b und 4. (Verbot des HNG e.V.). Das Gericht liest hier die Neutralitätsforderung des Artikel 5 II GG an „allgemeine Gesetze“ auch in den Artikel 9 II GG hinein. An sich ein guter Ansatz.

[20] Auch hier sollte eine Wertkollision nach dem Prinzip praktischer Konkordanz widerstreitender Grundrechte bzw. Rechtsgüter von Verfassungsrang (Art. 5 I vs. Art. 9 II: FDGO) abgewogen werden. So zu Recht Blümel a.a.O.

[21] Überblick bei Sandra Lukosek a.a.O., PDF S. 2/3.

[22] Katrin Groh a.a.O.

[23] BVerwG v. 19.08.1994 (1 VR 9/93), Rz 52 und v. 28.01.1997 (1 A 13/93), Rz 74.

[24] BVerfGE 149, 160 vom 13.07.2018 (Verbot des HNG e.V), Rz 93.

[25] BVerfGE 149, 160 (Rz 146)

[26] BVerfGE 149, 160 (Rz 144)

[27] BVerfGE 149, 160 (Rz 109)

[28] Die Frage nach der Gewaltbereitschaft kann demnach – sofern sie sich nicht aus aggressiven Äußerungen prägender Vereinsmitglieder ergibt – im Grunde offen bleiben.

[29] Pierre Thielbörger, in: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, Springer VS, 8. Aufl. 2021 (zit. nach https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/handwoerterbuch-politisches-system/202025/freiheitliche-demokratische-grundordnung/).

[30] BVerfGE 2, 1 (Verbot der Sozialistischen Reichspartei/SRP).

[31] BVerfGE 144, 20 vom 17.01.2017 (Rz. 538).

[32] Menschenwürde wurde bereits im KPD-Verfahren an der Spitze des „Wertsystems“ ausgemacht (BVerfGE 5, 85, S. 204).

[33] BVerfGE 144, 20 vom 17.01.2017 (Rz. 542)

[34] BVerfG a.a.O, Rz. 547

[35] BVerfGE 2,1 (11). Damals noch vor dem Horizont christlichen Glaubens, „daß der Mensch in der Schöpfungsordnung einen eigenen selbständigen Wert besitzt“ (Horst Meier). Nur so wird verständlich, daß für das Grundgesetz „zuerst der Mensch kommt und erst dann der Staat“ – „in Umkehrung des nationalsozialistischen Leitsatzes, der Einzelne sei nichts, der Staat (die Gemeinschaft) alles“ (Hans Jarass im GG-Kommentar zur Menschenwürde). Aber losgelöst von christlichen Wurzeln konterkarriert die FDGO ihre Ziele und wird totalitär, wie das Verbot der Compact-Magazin GmbH zeigt. Man kann den Teufel des „Extremismus“ nicht mit dem Beelzebub diktatorischer Willkür austreiben. Umstritten ist, ob sich der Wurm des Totalitarismus erst bei der Transformation der Bonner in die „Berliner Republik“ eingeschlichen hat oder von Beginn an im Grundgesetz angelegt war.

[36] Art. 17 EMRK (Verbot des Mißbrauchs der Rechte): „Diese Konvention ist nicht so auszulegen, als begründe sie für einen Staat, eine Gruppe oder eine Person das Recht, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung vorzunehmen, die darauf abzielt, die in der Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten abzuschaffen oder sie stärker einzuschränken, als es in der Konvention vorgesehen ist.“

[37] https://www.zdf.de/gesellschaft/markus-lanz/markus-lanz-vom-25-juli-2024-100.html

[38] GG-Präambel wurde geändert durch Art. 4 des Einigungsvertrages vom 31.08.1990.

[39] „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, seine nationale und staatliche Einheit zu wahren … hat das Deutsche Volk …“ (Ursprüngliche GG-Präambel von 1949).

[40] Schon im Karlsruher Verbotsprozeß gegen die SRP (1952) suchte man „lediglich nach dem ´richtigen Dreh´“, um die von vorne herein feststehende Entscheidung „sachgerecht begründen zu können“.  Auch im fünf Jahre dauernden KPD-Verbotsverfahren spielte politische Opportunität eine große Rolle, z.B.: Nähe der Partei zur Sowjetunion, kalter Krieg, erhoffte Wiedervereinigung. Staatsrecht gibt es ebenso wenig im luftleeren, interessenlosen Raum unbefleckt von – nicht zuletzt geopolitischen – Machtverhältnissen wie „Freihandel“ und Marktwirtschaft.

[41] S. aber Horst Dreier, Zeit.de, 20.10.2011: Ein neues Deutschland. Wer mehr Europa will, braucht eine andere Verfassung. Aber das Volk muß man dafür nicht fragen, https://www.zeit.de/2011/43/P-Europa-Verfassung

[42] Laut Bundesverfassungsgericht im KPD-Verbotsverfahren (1956) bringt Artikel 146 „klar zum Ausdruck, daß erst diese Verfassung als die endgültige Entscheidung des deutschen Volkes über seine staatliche Zukunft angesehen wird.“ (BVerfGE 5, 85/ 127).

[43] Horst Dreier a.a.O.

[44] Das KPD-Parteiverbot stützte sich im Wesentlichen darauf, daß die Partei eine „sozialistisch-kommunistische Gesellschaftsordnung auf dem Wege über die proletarische Revolution und die Diktatur des Proletariats [errichten]“ wolle – was unvereinbar mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung sei.

[45] Thilo Rensmann a.a.O., S. 59 ff. /62.

[46] Josef Schüßlburner, Beiträge zur Verfassungsdiskussion – 1. Teil: Zur Bedeutung von Artikel 146 des Grundgesetzes, https://links-enttarnt.de/verfassungsdiskussion-teil-1.

[47] KPD-Urteil, BVerfGE 5, 85 (S. 126 ff., Rz 123).

[48] NPD-Urteil, Rz 518.

[49] NPD-Urteil, Rz 581. Immerhin erklärte das BVerfG, daß „für die Annahme von ungeschriebenen, den Anwendungsbereich des Art. 21 GG erweiternden Tatbestandsmerkmalen kein Raum“ sei.

[50] „Art.  146 GG schafft – wie Art. 38 I Satz 1 GG – ein Teilhaberecht des wahlberechtigten Bürgers: Art. 146 GG bestätigt das vorverfassungsrechtliche Recht, sich eine Verfassung zu geben, aus der die verfasste Gewalt hervorgeht und an die sie gebunden ist. Art.  38 Abs.  1 Satz 1 GG gewährleistet das Recht, an der Legitimation der verfassten Gewalt mitzuwirken und auf ihre Ausübung Einfluss zu nehmen. Art.  146 GG formuliert neben den materiellen Anforderungen des Art.  23 Abs.  1 Satz 1 GG die äußerste Grenze der Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland an der europäischen Integration. Es ist allein die verfassungsgebende Gewalt, die berechtigt ist, den durch das Grundgesetz verfassten Staat freizugeben, nicht aber die verfasste Gewalt. Der verfassungsprozessualen Rügefähigkeit der „Entstaatlichung“ steht nicht entgegen, dass Art.  146 GG kein selbständig rügefähiges, mithin verfassungsbeschwerdefähiges Individualrecht im Sinne von Art.  93 Abs.  1 Nr.  4a GG begründet (vgl. BVerfGE 89, 155 [180]). Denn dies schließt nicht aus, dass Art. 146 GG in Verbindung mit den in Art.  93 Abs.  1 Nr.  4a GG genannten Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten – hier Art.  38 Abs. 1 Satz 1 GG – als verletzt gerügt werden kann.“ (BVerfGE 123, 267 vom 30.06.2009, S. 332).

[51] Zit. nach Ralf Dreiers Schüler Horst Meier: Parteiverbote und demokratische Republik, Nomos 1993, S. 407.

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