Houellebecqs „Berliner Rede“: das „Denken befreit“

Nachdem ich mich in einer Rezension kritisch zu Michel Houellebecqs Roman „Unterwerfung“ geäußert hatte, weil mir alles zu sehr nach unterschwellig dekadenter Anbiederung – oder jedenfalls gefährlicher Ambivalenz – roch http://www.metropolico.org/2015/09/13/unterwerfung/,

scheint mir aufgrund Houellebecqs „Berliner Rede“ http://www.nzz.ch/feuilleton/zeitgeschehen/michel-houellebecq-europa-steht-vor-dem-selbstmord-ld.118845, dass ich ihm irgendwie unrecht getan habe. Oder er hat sich bewegt.

Jedenfalls liefert er jetzt in seiner Berliner Rede die bislang vermisste schonungslose Abrechnung mit progressiver Fortschritts-´Gläubigkeit´ und asozialem Individualismus und ihren politischen Wortführern und Hofnarren. Houellebecq zieht eine gerade historische Linie bis zu den Greuelgeschichten der Französischen Revolution, von denen wir die meisten erst gar nicht aus unseren Schulbüchern erfuhren („Neben den französischen Revolutionären erscheinen die Menschen des Islamischen Staates beinahe zivilisiert.“)

„Freie Männer“

Über seine verstorbenen Kollegen Muray und Maurice Dantec sagt er: „[Sie] (…) scherten sich nicht darum, ob sich diese oder jene Zeitung von ihnen abwandte, sie akzeptierten es gegebenenfalls, sich vollkommen allein dastehen zu sehen. Sie schrieben einfach – und einzig und allein für ihre Leser, ohne jemals an die Limitationen und Befürchtungen zu denken, die die Zugehörigkeit zu einem Milieu einschliesst. Mit anderen Worten, sie waren freie Männer.“

Das ist exakt auch meine Definition von Freiheit und Freiheitlichkeit: innere Unabhängigkeit, die wohl die Entsagung von materieller Gier und Sucht (außer vielleicht nach Wahrheit – und damit zwingend nach Religion) erfordert und allenfalls durch seelische ´Abhängigkeit´ von wenigen wirklich geliebten Menschen ergänzt werden kann.

Vor allem pflichtet er dem Satz von Dantec bei: „Einzig eine spirituelle Macht wie das Christentum oder das Judentum wäre seiner Meinung nach imstande, mit einer anderen spirituellen Macht wie dem Islam zu kämpfen.“

http://www.cicero.de/salon/michel-houellebecqs-rede-der-geist-steht-nicht-mehr-links

Damit rechnet er en passent auch mit den insoweit untauglichen sog. „westlichen Werten“ ab, die eigentlich eher „amerikanische Werte“ sind, also kurz gesagt mit dem pseudo-rationalen „heiligen Zauber“ des atheistischen Marxismus und Liberalismus, den vor allem jüdische oder jedenfalls antichristliche Denker des 19. und 20. Jahrhunderts entfacht hatten.

Selbst dem intellektuell hochstehensten Heiden der Geschichte – Friedrich Nietzsche – verweigert er seine Ehrerbietung – ein erster Schritt zum Christentum? Und wer die linken Götzen Marx und Freud vom Sockel stößt, hat den „westlichen Werten“ den Boden entzogen und damit „das Denken befreit“ (Darwin hat er vergessen …). Insofern ist Houellebecq ist zurecht stolz auf die drei Musketiere Muray, Dantec und Houellebecq.