Durch sein Schweigen wird das Gericht zum Totengräber der Demokratie. Wenn ihm in drei Jahren keine Rechtfertigung für die „Grenzöffnung“ einfällt, dann gibt es wohl keine. Die „Unabhängigkeit der Gerichte“ zählt zum Kernbestand „europäischer Werte“ (s. EU-Sanktionen gegen Polen). Wie steht es mit der Unabhängigkeit des höchsten deutschen Gerichts?
Von Alexander Heumann
Die Hüter der Verfassung in Karlsruhe haben bei der Auslegung des Grundgesetzes das letzte Wort. Doch niemand scheint antragsbefugt, die Asylpolitik der offenen Grenzen auf Rechtmäßigkeit überprüfen zu lassen. Schon 2016 nahm das Gericht Verfassungsbeschwerden „nicht zur Entscheidung an“, obwohl das bei „grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Bedeutung“ eigentlich gesetzeswidrig ist (§ 93a BVerfG-Gesetz). Jetzt verwarfen die Richter die auf den Parlamentsvorbehalt gestützte Organklage der AfD als unzulässig. Kurz zuvor auch Verfassungsbeschwerden gegen die Zustimmung der Kanzlerin zum UNO-Migrationspakt.
Sachverhalt
Seit Sommer 2015 ordnet die Bundesregierung an, dass Flüchtlinge aus sicheren Staaten (wie etwa Österreich) über Deutschlands Grenzen einreisen dürfen, sogar ohne Pass und Schengenvisum. Seither ist die Nation gespalten: Die einen sprechen von „Herrschaft des Unrechts“ – andere von „europarechtlicher Überlagerung“ des Asylrechts. Für die einen geht es um das demokratische Selbstbestimmungsrecht der Deutschen – für andere ist gerade das der „erzrassistische Kern des ganzen Rechtsbruch-Mythos“ (so der Jurist Maximilian Steinbeis auf Verfassungsblog.de). Das Verfassungsgericht weicht der Fundamentalfrage seit drei Jahren erfolgreich aus.
Wege nach Karlsruhe
Verfassungswidrige Gesetze können für nichtig erklärt werden (sofern 25 % der Abgeordneten eine Normenkontrolle beantragen). Auch können Bürger Verfassungsbeschwerden einlegen – falls sie in Grundrechten betroffen sind. Was aber, wenn Gesetze nicht verfassungswidrig sind, sondern schlicht missachtet werden und das Grundgesetz obendrein? Asylgesetz (§ 18), Aufenthaltsgesetz (§ 15) und Grundgesetz (Artikel 16a Abs. 2) schreiben die Zurückweisung von Asylbewerbern an deutschen Grenzen vor. [s. Heumann, JF-online, 15.5.2018, http://heumanns-brille.de/sein-oder-nichtsein-im-zuwanderungsrecht/] Und „sollte Bundesrecht nicht durch Kanzlerwort geändert werden können, dann muß der Bundestag [dies] ja irgendwie verfassungsrechtlich geltend machen können, und wie sollte er dies tun, wenn nicht durch das Organstreitverfahren?“ (Organklage der AfD, S. 56, Fußnote 132).
Das demokratische Minimum
Das Volk darf nicht selbst über Schicksalsfragen der Nation abstimmen. Volksreferenden hätten wohl gegen Euro, Öko-Diktatur, unkontrollierte Binnengrenzen im Schengenraum und islamische Großmoscheen votiert. Muß dann nicht wenigstens ein unmittelbar demokratisch legitimiertes Organ entscheiden? Allein das Parlament ist direkt vom Volk gewählt. Zu seinen wesentlichen Aufgaben gehört, die Regierung zu kontrollieren. Jedoch sieht das Grundgesetz auch repräsentative Demokratie nicht in Reinkultur vor, sondern Gewaltenteilung: Parlament und „vollziehende Gewalt“ (Artikel 20 II) besitzen je eigene Machtbereiche. Wie sind diese voneinander abzugrenzen?
1978 urteilte das Verfassungsgericht zum Atomkraftwerk in Kalkar: Die Entscheidung für oder gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie ist wegen des „Rest-Risikos“ eine „wesentliche“ Entscheidung, die „allein der Gesetzgeber“ treffen muss – Geburtsstunde des Parlamentsvorbehalts. (Dennnoch zog Merkel nach der japanischen Tsunami-Katastrophe eigenmächtig den Atom-Stecker).
Auswärtige Angelegenheiten
Aber das Gericht blieb nicht beim demokratiefreundlichen Kurs: 1984 stimmte die Bundesregierung der Stationierung von US-Atomraketen in Deutschland zu – ohne Parlamentsgesetz. Das ginge in Ordnung, entschied Karlsruhe: Gesetzgebungsbefugnisse des Bundestages folgten weder „aus dem Demokratieprinzip“, noch „aus der Tragweite einer Entscheidung für das Staatsganze„. Denn: „Auch die Regierung“ sei „demokratisch legitimiert und nicht … auf politisch weniger bedeutsamer Akte beschränkt“; nur sie könne auf außenpolitische Lagen zügig reagieren. Drei Jahre Abrüstungsverhandlungen waren vorausgegangen – eigentlich Zeit genug für ein Gesetzgebungsverfahren! Wie schnell der Bundestag sein kann, zeigen jüngere Gesetze zur Geschlechtsverstümmelung bei Jungen (§ 1631d BGB), „Ehe für alle“ und „Netzwerkdurchsetzung“ in sozialen Medien.
Dieses Urteil zum NATO-Doppelbeschluß betraf aber nur die Außenpolitik. Bei der Asylpolitik müsste der Parlamentsvorbehalt weiterhin gelten. Auch die Massenimmigration aus der Dritten Welt birgt ´Rest-Risiken´ und Sprengkraft. Mittlerweile wird in Deutschland durchschnittlich ein Mensch pro Tag von „Flüchtlingen“ getötet. Heute Journal (ZDF) berichtete: „Die Fälle tatverdächtiger Flüchtlinge bei Tötungsdelikten sind seit 2014 deutlich angestiegen“. Ein Balkendiagramm illustrierte den Anstieg von 110 Tötungen im Jahr 2014 auf circa 420 in 2017. Tagtägliche Opfer! Vervierfachung binnen vier Jahren. Plus ungezählte „Einzelfälle“ sonstiger Flüchtlings-Gewaltkriminalität. (Dennoch läßt man weiterhin jährlich ca. 200.000 Asylbewerber einreisen.)
„Kein objektives Beanstandungsverfahren“
Dementsprechend stützte die AfD ihre Organklage auf den Parlamentsvorbehalt: Sie vermisst ein „Migrationsverantwortungsgesetz“, will aber nicht an einer Legalisierung fortgesetzter Massenmigration mitwirken.
Daraus dreht ihr das Gericht einen Strick: Es gehe ihr also nicht um Rechte des Parlaments gegenüber der Bundesregierung. Und außerhalb eines solchen Kompetenzstreits könne nicht erzwungen werden, dass die Regierung Asylgesetze oder wenigstens „das Grundgesetz respektiert“ – ein Blankoscheck für die Bundesregierung, die Verfassung auf stillem Wege zu ändern! Eigentlich wären dazu 2/3-Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat erforderlich (Artikel 79 GG).
Parallelfall 1
2007 beanstandeten die Grünen den Bundeswehreinsatz in Inneren beim G8-Weltwirtschaftsgipfel. Auch diese Organklage wurde als unzulässig verworfen. Obendrein war sie „offensichtlich unbegründet.“ Dennoch ging das Gericht ausführlich auf alle Argumente ein. Die Organklage der AfD hingegen nutzte es nicht als „Gelegenheit“, um die Verfassung auszulegen. Das war „feige“ (Christian Rath auf LTO).
Ein reformbedürftiges Gesetz
Oder ist die kleinkarrierte Förmelei des Gerichts berechtigt? Nach Artikel 93 Nr. 1 GG entscheidet es über die „Auslegung dieses Grundgesetzes aus Anlaß von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte … eines obersten Bundesorgans“ (Organstreit). Parlament und Regierung sind problemlos parteifähig. Da sich die Mehrheit des Bundestages nicht immer für ihre Mitwirkungsrechte als Gesetzgeber interessiert, dürfen diese auch stellvertretend von oppositionellen Fraktionen geltend gemacht werden.
Allerdings schränkt § 64 BVerfG-Gesetz die Antragsbefugnis in einer Weise ein, die mit Artikel 93 GG kaum zu vereinbaren ist: „Im Antrag ist die Bestimmung des Grundgesetzes zu bezeichnen, gegen die … verstoßen wird.“ Damit verringerte der Gesetzgeber seine Möglichkeiten, die Bundesregierung auf Gesetz und Recht zu verpflichten. Jedenfalls nach Lesart des Bundesverfassungsgerichts: Es reiche nicht, wenn eine Verletzung des allgemeinen Rechtsstaatsprinzips (Artikel 20 III) oder Parlamentsvorbehalts möglich erscheint; es müssten konkrete Parlamentsvorbehalte missachtet sein.
Wo finden sie sich im Grundgesetz? Im Grundrechtsteil, vereinzelt auch im außenpolitischen und militärrechtlichen Teil, aber zur Überschreitung deutscher Grenzen gibt es keinen Gesetzesvorbehalt in der Verfassung. 1949, als das Grundgesetz entstand, war das „Rendevouz mit der Globalisierung“ (Wolfgang Schäuble) nicht vorhersehbar. Hier führt die Engstirnigkeit des Verfassungsgerichts von vorne herein zur Unzulässigkeit von Organklagen.
Parallelfall 2
An anderer Stelle jedoch wich das Gericht davon ab: 1994 ließ es Organklagen gegen Bundeswehreinsätze außerhalb des NATO-Gebiets zu, obwohl kein Parlamentsvorbehalt einschlägig war: Nach Artikel 87a ist ein Streitkräfte-Einsatz „zur Verteidigung“ zulässig und „im Übrigen nur, soweit das Grundgesetz es ausdrücklich zulässt.“ Eine ausdrückliche Regelung findet sich in Artikel 24: „Der Bund kann sich einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen.“ Die Übertragung von Hoheitsrechten ist nur „durch Gesetz“ zulässig, aber der Bundestag hatten dem NATO-Vertrag und dem „Aufenthaltsvertrag“ schon Jahrzehnte zuvor per Gesetz zugestimmt.
Dennoch waren Organklagen von SPD und FDP zulässig. Argument: Möglicherweise seien Rechte des Bundestages als verfassungsändernder Gesetzgeber verletzt. Der NATO-Vertrag fordert Beistand nur bei „Angriff gegen einen von ihnen in Europa oder Nordamerika“ (Artikel 5). Bis heute „verteidigt“ sich die NATO am Hindukusch, aber Deutschlands Beteiligung erfolgt seither nicht mehr über den Kopf des Parlaments hinweg – immerhin.
Problematisch war auch das Rechtsschutzbedürfnis der FDP-Fraktion: Sie hatte nämlich nichts gegen „out-of-area“-Einsätze, sondern wollte sie – im Gegenteil – in Karlsruhe absegnen lassen: „Wir werden triumphieren, weil wir mit unserer Klage abgewiesen werden.“ Folglich ging es der FDP „nicht um Rechte des Bundestages gegenüber der Bundesregierung“ (richterliches Minderheitsvotum). Doch die Mehrheit der Richter war großzügiger: Die „Auslegung des Grundgesetzes gerichtlich klären zu lassen, auf die es für die (…) Verfassungsmäßigkeit der Maßnahme ankommt“ sei ein „zulässiges Rechtsschutzziel im Rahmen eines Organstreits.“ (Rn 211). Geht doch!
Es wird also gedreht und gewendet wie es gerade opportun erscheint. Daraus folgt: Wenn dem Gericht binnen drei Jahren keine Rechtfertigung für die Grenzöffnung einfiel, dann gibt es keine.
Demokratie in „auswärtigen Angelegenheiten“
In auswärtigen Angelegenheiten urteilt das Gericht ansonsten demokratiefern: Laut Artikel 59 GG bedürfen völkerrechtliche „Verträge“ der Zustimmung des deutschen Gesetzgebers. Aber schon die damals „einseitige“ Zustimmung der Bundesregierung zum NATO-Doppel-Beschluss galt nicht als „Vertrag“, weil Verträge mindestens zwei Vertragspartner voraussetzen. Man hätte Artikel 59 analog anwenden müssen, weil die Gefahr eines Atomkriegs auf deutschem Boden erhöht wurde. Stattdessen wurde dem freihändigen Internationalismus der Exekutive der Weg geebnet.
Nicht rechtlich, sondern „nur politisch“ verbindlich …
Diese Entwicklung mündet in den Karlsruher Beschluß zum globalen Migrations-„Pakt“ der UNO, der einem Menschenrecht auf Migration das Wort redet, aber die Menschenrechte der Menschen in den Zielstaaten (z.B. auf Unversehrtheit und Meinungsfreiheit) übergeht. Die Ziele des Paktes bewegen sich im Grenzbereich zur staatlich organisierten strafbaren Schleuserei (§ 96 AufenthaltsG) und zum Völkermord (§ 6 Völkerstrafgesetzbuch), so dass sich eine vorbehaltlose Unterzeichnung durch die deutsche Exekutive schon von daher hätte verbieten müssen. Jedoch sei auch der Migrationspakt – so das Gericht – kein völkerrechtlicher „Vertrag“, weil er nicht rechts-, sondern „nur“ politisch verbindlich ist. Deswegen durfte Merkel ohne gesetzliche Grundlage zustimmen. Eine Organklage scheidet damit aus. Ebenso eine Grundrechts-Betroffenheit von Bürgern, so dass die Verfassungsbeschwerden kurzerhand abgewiesen werden konnten.
Ausblick
Was wird mit der Demokratie und der Unabhängigkeit des Gerichts im neuen Jahr, wenn der aktive Spitzenpolitiker Harbarth (CDU) dem jetzigen Gerichtspräsidenten nachfolgt? Harbarth setzte sich bei Bundestagsdebatten leidenschaftlich für die Unterzeichnung des Migrationspakts ein. Mehr Eindruck der Befangenheit in Flüchtlingsfragen geht nicht!
———-
PS. Bis 1956 mußte das Bundesverfassungsgericht Rechtsgutachten erstatten. Diese sodann abgeschaffte Regelung hätte heute verhindert, dass sich Richter in Schweigen hüllen können, wenn es ihnen passt.
ANHANG:
§ 96 I Nr.1 AufenthaltsG (Einschleusen von Ausländern): Mit Freiheitsstrafe … oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer einen anderen anstiftet oder ihm dazu Hilfe leistet, eine Handlung nach § 95 I Nr. 3 oder II Nr. 1 Buchstabe a zu begehen und a) dafür einen Vorteil erhält oder sich versprechen lässt oder b) wiederholt oder zugunsten von mehreren Ausländern handelt …
§ 95 I Nr.3: (1) Mit Freiheitsstrafe ... oder Geldstrafe wird bestraft, wer (...) entgegen § 14 I 1 Nr. 1 oder 2 in das Bundesgebiet einreist ...
§ 14 I: Die Einreise eines Ausländers in das Bundesgebiet ist unerlaubt, wenn er einen erforderlichen Pass oder Passersatz gemäß § 3 Abs. 1 nicht besitzt, den nach § 4 erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt (oder) ...
Völkerstrafgesetzbuch, § 6 Völkermord: (1) Wer in der Absicht, eine nationale, rassische, religiöse oder ethnische Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören, (...) 3. die Gruppe unter Lebensbedingungen stellt, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen, (...) wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.
Mein Artikel erschien hier: https://michael-mannheimer.net/2019/01/04/totengraeber-der-demokratie-das-schweigen-des-bundesverfassungsgerichts-zur-fluechtlingspolitik/?fbclid=IwAR01BjtVPFVerv2Wwc4mcZSZ9cgJyx5ML-L_g3onDFQV4wPVWAHkF0F7QJY
Nachtrag vom 17.1.2019:
Der Prozeßvertreter der AfD im Organstreitverfahren, Herr Dr. Vosgerau, weist zu Recht darauf hin, dass auch die Fraktion der Grünen 1984 im Organstreitverfahren zur Stationierung von US-Atomwaffen in Deutschland (NATO-Doppelbeschluß, BVerfGE Band 68, 1 ff.) nicht dessen parlamentarische Legalisierung beabsichtigte, sondern (wie die AfD) das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage beklagt hatten – ohne dass dies der Zulässigkeit der Klage Abbruch getan hat. Dennoch sehe ich in dieser Entscheidung aus folgenden Gründen keinen „Präzedenzfall“:
I. Die Fraktion der Grünen hatte diverse Rügen erhoben, von denen das BVerfG nur eine als zulässig betrachtet hat:
„Jedenfalls soweit die Antragstellerin eine Verletzung von Rechten des Bundestags aus Art. 79 I Satz 1 i.V.m. Art. 24 I GG und aus Art. 59 II Satz 1 GG i.V.m. Art. 20 III GG rügt, ist sie … antragsbefugt. Art. 24 I und Art. 59 II 1 GG übertragen dem Bundestag Gesetzgebungsbefugnisse im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten und stellen insoweit Rechte des Bundestages im Sinne des § 64 Abs. 1 BVerfGG dar (vgl. BVerfGE 2, 347 [368, 379]). Die angegriffene Zustimmungserklärung der Bundesregierung ist eine Maßnahme im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten. Es kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, daß sie einer gesetzlichen Ermächtigung zufolge dieser Vorschriften des Grundgesetzes bedurfte oder die Grenzen vorhandener gesetzlicher Ermächtigungen in verfassungswidriger, die angesprochenen Gesetzgebungsbefugnisse des Bundestages verletzender Weise mißachtete.“ (Rz 100)
Hier ging es also um konkrete GG-Normen, die Rechte des Bundestages (hier: im Bereich auswärtiger Angelegenheiten) vorsahen und möglicherweise verletzt waren. Nur deswegen wurde die Organklage der Grünen als zulässig behandelt. Solche Normen fehlten jedoch für die Organklage der AfD – und das war auf Grundlage der (kritikwürdigen) Rechtsauffassung des BVerfG der eigentliche Grund für die Zurückweisung der AfD-Organklage als „unzulässig“.
Im Übrigen beurteilte das BVerfGE die Anträge der Grünen als unzulässig (Rz 101 ff.). Das betraf – neben der Rüge der Mißachtung von Grundrechten der Bürger – auch alle weiteren Rügen – Zitat:
„dd) An der Unzulässigkeit der insoweit (oben bb) erhobenen Rügen ändert auch nichts das Vorbringen der Antragstellerin, die Zustimmung der Bundesregierung scheitere zwar nicht an unabänderlichen materiell-verfassungsrechtlichen Grundsätzen, wohl aber stehe ihr zur Zeit Verfassungsrecht entgegen, welches erst mit verfassungsändernder Mehrheit durch ein entsprechendes Gesetz hätte abgeändert werden müssen. Hierzu führt die Antragstellerin als maßgeblichen Gesichtspunkt insbesondere die nationale Souveränität an. Indessen kann auch dieses Argument nicht zu der gewünschten Ausdehnung der Prüfung auf die hinter den genannten Behauptungen stehenden Sachnormen des Grundgesetzes führen:
Ist eine staatliche Maßnahme zwar nicht schlechthin durch Art. 79 Abs. 3 GG verwehrt, steht ihr aber nach derzeit geltendem Verfassungsrecht „lediglich“ eine änderbare Verfassungsnorm entgegen, so ist in der Tat der Bundestag, freilich nur zusammen mit dem Bundesrat, in der Lage, das Hindernis im Wege der Verfassungsänderung wirksam zu beheben (Art. 79 Abs. 2 GG). Dies gilt unabhängig davon, ob die zur Zeit „im Wege stehende“ Verfassungsnorm die Handlungskompetenz für den fraglichen Gegenstand ausschließlich einem anderen als dem „handlungswilligen“ Staatsorgan – hier etwa: dem Bundestag statt der Bundesregierung – zuweist, oder ob die Norm inhaltliche Hindernisse aufstellt, die ohne ihre Aufhebung oder Änderung für jedes Staatsorgan einstweilen unüberwindlich sind.
Für die Frage, wie im Organstreitverfahren ein „Handeln ohne Grundgesetzänderung“ im Hinblick auf die Rechte des Bundestages zur Gesetzgebung zu beurteilen ist, kommt es indessen allein darauf an, ob die übergangene Verfassungsnorm, deren Änderung erforderlich gewesen wäre, zumindest auch Rechte des Bundestages zur Gesetzgebung zu gewährleisten bestimmt war. Aufgabe des Organstreitverfahrens ist es, den Umfang der Rechte und Pflichten im Verhältnis zu einem möglichen Antragsgegner zu klären, wenn der Antragsteller geltend macht, daß er oder das Organ, dem er angehört, durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners in seinen ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist, Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 64 Abs. 1 BVerfGG.
Diese Umschreibung der Arten möglicher Streitgegenstände des Organstreitverfahrens bedeutet, wie das Bundesverfassungsgericht gerade für das Verfahren zwischen einer Fraktion des Bundestages und der Bundesregierung festgestellt hat, im Gegenschluß: „Ob im übrigen das Verhalten der Bundesregierung gegen das Grundgesetz verstoßen hat, ohne aber die Rechte des Bundestages zu verletzen, kann in diesem Verfahren nicht Gegenstand der Urteilsfindung sein“ (BVerfGE 2, 347 [368]). Ausschlaggebend in einem Organstreitverfahren des Bundestages gegen die Bundesregierung sind mithin die – durch das Grundgesetz übertragenen – „Rechte und Pflichten des Bundestages“ (vgl. auch BVerfGE 2, 347 [366 f.]).“
Das Grundgesetz hat den Bundestag als Gesetzgebungsorgan, nicht aber als umfassendes „Rechtsaufsichtsorgan“ über die Bundesregierung eingesetzt; es hat ihn im Verhältnis zur Bundesregierung als – grundsätzlich auf die Person des Bundeskanzlers bezogenes – politisches Kreations-, Überwachungs- und Revokationsorgan bestellt (vgl. Art. 63 I, 43 I, 67 I GG sowie auch BVerfGE 2, 347 [371 vor 4.]). Demgemäß läßt sich aus dem Grundgesetz kein „eigenes Recht“ des Bundestages dahingehend ableiten, daß jegliches materiell oder formell verfassungswidrige Verhalten der Bundesregierung unterbleibe.
Mit „Rechten des Bundestages“ im Sinne des § 64 Abs. 1 BVerfGG sind vielmehr allein diejenigen Rechte gemeint, die dem Bundestag zur ausschließlich eigenen Wahrnehmung oder zur Mitwirkung übertragen sind oder deren Beachtung erforderlich ist, um die Wahrnehmung seiner Kompetenzen und die Gültigkeit seiner Akte (etwa der Feststellung des Verteidigungsfalles nach Art. 115 a I GG) zu gewährleisten. Die bloße Tatsache, daß eine angegriffene Maßnahme möglicherweise gegen das Grundgesetz verstößt, reicht nicht schon dafür hin, daß ein parteifähiger Antragsteller auch prozeßführungsbefugt sei.Das Organstreitverfahren ermöglicht dem Antragsteller nicht, eine abstrakte Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit des Verhaltens des Antragsgegners schlechthin anzustrengen. Seine Zulässigkeit bemißt sich vielmehr danach, ob die als verletzt behauptete Bestimmung des Grundgesetzes selbst gerade dem Antragsteller ein Recht zuerkennt. Ein solches Recht im Sinne des § 64 BVerfGG erwächst dem Bundestag auch nicht aus jedweder Bestimmung des Grundgesetzes zufolge des Art. 79 Abs. 1, 2 GG allein deshalb, weil keine dieser Bestimmungen ohne Mitwirkung des Bundestages abgeändert oder aufgehoben werden kann. Nicht weil eine Verfassungsbestimmung nur unter Mitwirkung des Bundestages geändert werden kann, sondern nur dann, wenn sie selbst Rechte oder Pflichten im Sinne des § 64 Abs. 1 BVerfGG begründet, kann ihre Verletzung befugtermaßen gerügt werden. Die diesbezüglichen Behauptungen der Antragstellerin vermögen ihre Prozeßführungsbefugnis insoweit nicht zu begründen. Eine Gefährdung oder Verletzung von Rechten des Bundestages aus Art. 79 GG selbst steht hier nicht in Streit.
Im vorliegenden Verfahren ist mithin nicht darüber zu entscheiden, ob die Zustimmung der Bundesregierung zur Aufstellung von nuklear bestückten Raketen der Bauart Pershing-2 und Marschflugkörpern auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in jeder Hinsicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist, sondern allein darüber, ob diese Zustimmung Rechte des Bundestages im Sinne des § 64 Abs. 1 BVerfGG verletzt oder gefährdet hat.“ (Ende Zitat BVerfG a.a.O., Rz 104 – 110).
Das ist das Kreuz mit der Freiheit: Sie erzieht uns nicht, für sie zu kämpfen.
Man lese dazu den Artikel (zum AfD-Antrag) von Martin Eifert in der SZ. Die AfD wolle das Ansehen des obersten dtsch. Gerichts unterminieren u. es gleichzeitig überlasten. Ein Artikel ganz auf der Linie der SZ. Ich bin kein Jurist – finde aber das Sich-Drehen u. Wenden merkwürdig. Warum darf A. Merkel nicht kritisiert werden? Warum gab es keine Debatte im BT damals? Warum konnte u. kann A. Merkel wie eine absolutistische Fürstin auftreten? In diesem Land hat der einfache Bürger NICHTS zu sagen!
Paulinchen, wenn Du recht hast, hast Du recht! Gute Nacht http://www.gustav-rust.de